Der Kampf der Insekten
unwiderruflich verlorengehen konnten. Es war auch denkbar, daß sie ihre Anstrengungen erneuerten und mit ihrem Fahrzeug davonflögen. Hier lag ein Besorgnis-Element, das komplizierter Erwägungen bedurfte.
Das Fahrzeug war schon einmal geflogen.
»Meldet den Aktionsgruppen«, befahl das Gehirn, »daß sie das Fahrzeug und die Menschen darin fangen sollen, bevor es die Stromschnellen erreicht. Die Menschen sind lebendig zu fangen, wenn möglich. Sollte es notwendig werden, den einen oder den anderen zu opfern, um die Menschen in unsere Gewalt zu bringen, ist dies die Reihenfolge ihrer Bedeutung: zuerst ist der Chinese zu fangen, dann der Mensch Martinho, und schließlich der weibliche Mensch.«
Die Insekten im Höhlenraum tanzten die Botschaft nach, dann schossen sie hinaus in den Sonnenschein.
Chen Lu starrte über die Vordersitze hinweg auf den schwarzen Fluß. Die Mondsichel legte einen dünnen, silbrigen Pfad auf das Wasser, eine Bahn, die in die Unwirklichkeit verschwimmender Nachthorizonte führte.
Von vorn kamen die Geräusche tiefen, gesättigten Schlafes.
Unsere Freunde werden den Angriff nicht mehr lange hinauszögern, dachte Chen Lu. Es ist klar, daß sie nur den passenden Ort und Zeitpunkt abwarten. Wo wird das Ende kommen – in einer engen Felsschlucht, unter dem Laubdach eines grünen Tunnels?
Er fand, daß der Gedanke an den Tod seinen Schrecken verloren hatte. Er war bereit, dieser ungezähmten Wildnis sein Leben zum Opfer zu bringen, in sie einzugehen. War es nicht würdiger, seinen Leib der Natur zurückzugeben, neuem Leben zur Nahrung, als in einem Spitalbett Zu enden, jämmerlich allein in einer sterilen Kammer, um der eingespielten Effizienz mühsam verbrämter technischer Beseitigungsprozesse anheimzufallen, nicht anders als ein Sack Müll? Ja, er wollte hier sterben. Es war die Chance, ein Leben, das sich ohnehin dem Ende zuneigte, anständig zu beenden. Er hatte keine Furcht. Er war ruhig, fast glücklich.
Joao erwachte, weil sein Arm eingeschlafen war. Rhins Kopf war an seine Schulter geschmiegt, und er zog seinen Arm vorsichtig, um sie nicht zu wecken, hinter ihrem Rücken hervor. Wie ruhig sie atmete.
Er schloß seine Augen, streckte sich in seinem Sitz, so gut er konnte, aber der Schlaf ließ auf sich warten. Etwas war da … etwas in der Kabine, das seine Aufmerksamkeit verlangte. Sein, Bewußtsein kam weiter und weiter aus dem Schlaf.
Modergeruch.
Das war es. Der Modergeruch war stärker – und es roch nach Rost. Er schnüffelte die Luft, und es erschien ihm unglaublich, daß dieses muffige Aroma von kondensierter Feuchtigkeit, Schimmel und Fäulnis, das jetzt die Kabine erfüllte, den Tag über kaum störend gewesen sein sollte.
Die Gerüche machten ihn melancholisch. Er konnte fühlen, wie der Zustand der Kapsel um ihn sich von einem Tag zum anderen verschlechterte, und die Kapsel war ein Symbol der Zivilisation. Diese gebieterischen Gerüche verkörperten Verfall und Sterblichkeit.
Er strich leicht über Rhins Haar und dachte: Warum sollten wir nicht ein wenig Glück suchen, hier und jetzt? Morgen können wir tot sein …
Langsam sank er in Schlaf zurück.
Ein Schwarm Sittiche verkündete den neuen Tag. Sie schwatzten und zeterten in den Jacarandabäumen am Ufer. Hier und dort stimmten andere Vögel zwitschernd ein.
Joao hörte die Vögel wie aus weiter Ferne. Das Geräusch zog ihn aufwärts, und er erwachte schwitzend und mit einem seltsamen Gefühl von Schwäche.
Rhin hatte sich während der Nacht von ihm gelöst und schlief in ihrem Sitz, den Kopf am Fenster.
Joao starrte ins graue Licht hinaus. Dunst hing über dem Wasser. Die Luft in der abgeschlossenen Kabine hatte eine ungesunde Feuchtigkeit und Wärme. Joao befeuchtete seine Lippen, setzte sich aufrecht. Sein Rücken schmerzte vom Schlafen in unbequemer Haltung, und seine Füße waren geschwollen. Er blickte zum Himmel auf.
»Halten Sie nicht nach Suchflugzeugen Ausschau, Joao«, sagte Chen Lu.
Joao hustete. »Ich habe nur nach dem Wetter gesehen. Wir werden bald Regen kriegen.«
»Vielleicht.«
So grau, dieser Himmel, dachte Joao. Ein leerer, schieferfarbener Hintergrund für den einsamen Geier, der mit bewegungslosen Schwingen über die Baumwipfel segelte. Der Geier zog einen majestätischen Kreis, schlug einmal, zweimal mit den Flügeln und flog stromaufwärts.
»Warum haben Sie mich um Mitternacht nicht geweckt, Doktor?« fragte Joao, dem plötzlich einfiel, daß er seine Wache verschlafen
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