Der Kampf der Insekten
suchen, könnten sie uns jetzt nicht sehen.«
Rhin erschrak. Daran hatte sie nicht gedacht. Sie fühlte sich plötzlich elend und entdeckte, wie sehr sie auf diese Hoffnung gebaut hatte. »Wie … wie lange wird der Regen anhalten?« fragte sie.
»Vier oder fünf Monate«, sagte Joao. »Mit Unterbrechungen.«
Die Kapsel drehte sich um sich selbst. Langsam zog das pastellgrüne Ufer hinter dem gleichmäßigen Regenvorhang dahin. Joao stand auf.
»Ich muß ’raus«, sagte er.
»Fühlst du dich kräftig genug?« fragte sie. »Gestern abend warst du sehr erschöpft.«
»Ich fühle mich gut.«
Er öffnete die Hecktür und kletterte hinunter auf den linken Schwimmer. Der Regen war warm und frisch auf seinem Gesicht. Er stand auf dem Schwimmer, atmete tief und genoß die reine Luft.
In der Kabine sagte Chen Lu: »Warum sind Sie nicht mit hinausgegangen, um seine Hand zu halten, Rhin?«
»Lassen Sie mich in Ruhe. Sie gehen mir auf die Nerven.«
»Das tut mir leid. Aber Sie müssen einsehen, daß ich nicht gut auf dem Dach oder auf einem Schwimmer kampieren kann, um Ihnen ungestörte Liebesfreuden zu ermöglichen.«
»Sie sind unerträglich!«
»Denken Sie sich nichts dabei, Rhin. Die menschliche Natur ist mir nicht so fremd, wie Sie vielleicht meinen. Geben Sie sich zwanglos und gönnen Sie einem alten Mann seine harmlosen Spaße. Sie sind zu empfindlich, das ist es. Sie haben Komplexe. Der alte Konflikt zwischen religiöser Konditionierung und natürlichem Triebleben. Ihr Abendländer könnt einem leid tun.«
Sie unterdrückte einen zornigen Ausbruch und starrte aus dem Fenster, brennende Röte im Gesicht. Er hat recht, dachte sie erbittert. Unsere Körper verraten uns, versklaven uns. Aber es ist unfair, darüber zu spotten.
Joao kam wieder herein und setzte sich. Er brachte einen frischen Geruch von Regen mit sich, aber bald gewann der Modergeruch wieder die Oberhand – er und die Ausdünstungen ihrer schwitzenden, ungewaschenen Körper. Rhin schämte sich ihres Geruchs; er machte sie unsicher und befangen.
Gegen Mittag ließ der Regen nach. Warmer, diesiger Dunst lag über Fluß und Dschungel. Die Kapsel tanzte und kreiselte auf einer reißenden, lehmbraunen Strömung dahin, begleitet von mehr und mehr Treibgut – Bäumen, Büschen, schwimmenden Inseln aus Wurzelwerk, Gras und Röhricht.
Joao döste vor sich hin und wunderte sich über Rhins wechselhaftes Verhalten. In einer Welt der beiläufigen Verbindungen sollte er mit einem Achselzucken und vielleicht einer scherzhaften Bemerkung darüber hinweggehen. Aber seine Gefühle für Rhin waren nicht beiläufig. Sie hatte etwas in ihm angerührt, das nicht allein mit fleischlicher Begierde zu erklären war.
Liebe? dachte er.
Aber ihre Welt hatte die Idee romantischer Liebe als überlebt abgetan. Es gab nur Familie und Ehre, wo emotionale Bindungen ihre Bedeutung behalten hatten, und alles andere lief darauf hinaus, daß man das Rechte tat, um mit einigem Anstand jede Situation, die auseinanderzufallen drohte, zu überstehen.
Es bot sich kein klarer Weg, dieses Problem anzugehen. Joao wußte nur, daß er von innen gedrängt wurde, daß körperliche Schwäche zu der Verschwommenheit seines Denkens beitrug, und daß ihre ganze Lage hoffnungslos war.
Ich bin krank, dachte er. Die ganze Welt ist krank.
Ein helles, dröhnendes Geräusch riß Joao aus seinen trüben Betrachtungen. Er fuhr in seinem Sitz hoch, plötzlich hellwach.
»Was ist los?« fragte Rhin.
»Still!« Er hob seine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, legte seinen Kopf auf die Seite.
Chen Lu beugte sich über seine Schulter. »Ein Transporter?«
»Ja, bei Gott!« sagte Joao. »Und er fliegt niedrig.« Er spähte zum Himmel auf, wollte den Einstieg auf seiner Seite öffnen und fühlte Chen Lus Hand auf seinem Arm.
»Nicht aufmachen, Joao«, sagte Chen Lu. »Sehen Sie, dort!« Er zeigte zum Ufer.
Eine seltsame Wolke näherte sich von dort – weißlich, dicht und in schneller Bewegung. Sie kam mit unverkennbarer Zielstrebigkeit auf die Kapsel zu. Bald löste sie sich in eine Masse von weißen, grauen und goldbraunen Insekten auf. Sie kamen in einem dichten Schwarm, dreißig Meter über dem Wasser, und verdunkelten die Oberfläche mit ihrem Schatten.
Der Schatten hüllte die Kapsel ein und hielt mit ihr Schritt, ein fliegender Schild, der sie gegen den Himmel abschirmte.
Als die Bedeutung des Manövers in Joaos Bewußtsein eindrang, wandte er den Kopf und blickte fragend in Chen Lus
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