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Der Kannibalenclan

Der Kannibalenclan

Titel: Der Kannibalenclan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaques Buval
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Passagiere auf der Liste.«
    Also sagt man, man habe für den morgigen Tag einen wichtigen Termin beim Gericht in Nowokusnezk, was natürlich gelogen ist. »Gericht«, das zeigt Wirkung bei der jungen Dame an dem kleinen Schalter.
    »Ich schaue, was sich machen lässt«, ist ihre Antwort, und man schöpft wieder Hoffnung.
    Stunden des Wartens vergehen. Es ist spät abends, und kein Lokal ist in dem riesigen Flughafengebäude geöffnet. Plötzlich kommt eine äußerst attraktive junge Frau und verkündet, dass die Maschine nach Sibirien in nur wenigen Minuten starten wird. Sie bittet den einzigen Fluggast freundlich, ihr zu folgen, und betont immer wieder, wie schwierig es war, diesen Flug zu organisieren. Man gibt ihr ein paar Dollars, und sie stellt einem den Piloten vor, dem – obwohl noch zwei Meter entfernt – die Wodkafahne vorauseilt. Verwundert stellt man fest, dass er nicht wankt. Stumm geht er voraus, und man ist gespannt, welche Überraschungen diese Nacht noch bereithalten wird.
    Man geht weder durch ein Gate noch durch irgendeine Kontrolle. Über einen Seitenausgang kommt man direkt zur Rollbahn, auf der eine kleine Maschine steht. Der Pilot geht zur Maschine, öffnet die Eingangsluke und lässt die Treppe zu Boden. Mit einem Wink deutet er an, dass man das Flugzeug besteigen kann.
    Stufe für Stufe nach oben gehend, glaubt man, die Treppe zu einem Schafott zu besteigen. Oben angekommen, schaltet der Pilot eine Art Notlicht im Kabinenraum ein. Die Sitze sind nur schemenhaft zu erkennen; mit einem Lächeln deutet der Pilot auf einen Sitz, auf dem man Platz nehmen soll. Ohne ein weiteres Wort verschwindet er in seiner Kanzel und schließt die Tür hinter sich zu. Vielleicht neunundzwanzig leere Sitze teilen das Gefühl der Angst mit dem einzigen Passagier dieser Maschine. Gedanken schießen durch den Kopf, keine Stewardess, kein Copilot, kein Licht, das wenigstens das Lesen erlauben würde. Nichts. Man denkt an zu Hause, wie es wohl der Familie geht und ob man sie je wieder sieht.
    Doch plötzlich dröhnen die Motoren, und ehe man sich versieht, ist man gestartet. Man sieht aus dem Fenster und stellt erleichtert fest, dass zumindest der Start geglückt ist. Bis zur Landung vergehen viele Stunden, ohne eine Sekunde Schlaf.
    Wen wundert noch, dass man kein Glas Rotwein serviert bekommt; der einzige Gast dieser Maschine hätte aus Angst wohl ein ganzes Fass leer getrunken. Doch auch diese Stunden vergehen, und der Pilot kann das Flugzeug auch mit Wodka sicher landen.

    Es ist früher Morgen in Sibirien, wolkenverhangen begrüßt die Stadt ihren Besucher. Nach etwa zwei Stunden bekommt man ein Taxi zum einzigen Hotel, das für Mitteleuropäer akzeptabel und sicher ist. Der Preis eines Einzelzimmers, das zum letzten Mal vor Monaten sauber gemacht wurde, beträgt einhundertsechzig Dollar.
    Mit den Worten »Bitte nur mit Bargeld bezahlen, wir nehmen keine Kreditkarten« wird einem der Zimmerschlüssel in die Hand gedrückt. Natürlich gibt es keinen Lift, so steigt man die vier Stockwerke hoch und fragt sich, weshalb man ein Zimmer im vierten Stock erhält, obwohl man doch sicher der einzige Gast in diesem Haus ist. Müde schließt man das Zimmer auf und träumt davon, nun endlich schlafen zu können.
    Man hat nur einen Wunsch: Die Erlebnisse der vergangenen Nacht möglichst schnell zu vergessen.
    Nach ein paar Stunden Schlaf, es ist bereits Nachmittag, versucht man vergebens, ein Frühstück zu bekommen.
    Verwundert betritt man den dafür vorgesehenen Raum, der mit Möbeln aus der Nachkriegszeit ausgestattet ist. Doch hier tobt um diese Zeit das Leben: Junge, mit Goldschmuck behangene Männer sitzen oder liegen mit hübschen Frauen auf den Sofas und lassen sich mit reichlich Alkohol den Tag verschönern.
    So schlendert man durch die Straßen und hofft auf ein einladendes Cafe. Viele schwankende Männer und Frauen begegnen einem auf der Straße, nur mit sich selbst beschäftigt.
    In ihren heruntergekommenen Kleidern, mit Schlappen oder Gummistiefeln an den Füßen, den Blick ins Leere gerichtet, genießen sie den Tag und die Wirkung des Alkohols. Sie lachen und albern herum wie kleine Kinder und suchen nach den letzten Kopeken für neuen »Sprit«.
    Doch je näher man der Innenstadt von Nowokusnezk kommt, umso besser gekleidet sind die Menschen. Aus den Kneipen ertönt laute amerikanische Musik. Betritt man sie, glaubt man, in Russland gäbe es mehr Alkoholiker als schrottreife Autos. Wohin taumelt ein Land,

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