Der Kardinal im Kreml
die damals umgingen â Afghanen zogen gefangenen russischen Piloten mit Vergnügen bei lebendigem Leibe die Haut ab; oftmals übernahmen Frauen das. Bislang hatte ihm das als Beweis für die Barbarei dieses Volkes gegolten, doch nach jenem Erlebnis auf dem Basar sah er jedesmal, wenn er die Sprengladung
an ein Spielzeug schraubte, eine kleine Kinderhand. Bald sah er sie auch im Traum. Alkohol und selbst ein kurzes Experiment mit Haschisch konnten die Bilder nicht vertreiben. Auch ein Gespräch mit seinen Kollegen hatte nichts genützt, sondern ihm nur die zornige Aufmerksamkeit seines Politoffiziers eingetragen. Eine schwere Aufgabe, hatte der sampolit erklärt, aber zur Verhinderung weiterer Verluste unerläÃlich. Beschwerden über die MaÃnahmen seien sinnlos, es sei denn, der Gefreite Altunin wolle zu einer Schützenkompanie versetzt werden, um sich die Notwendigkeit so drastischer MaÃnahmen selbst gegenwärtig zu machen.
Nun wuÃte er, daà er das Angebot hätte annehmen sollen. Der Dienst in einer Fronteinheit hätte sein Selbstwertgefühl wiederhergestellt, doch er hatte sich aus Feigheit gedrückt, und daran lieà sich nun nichts mehr ändern.
Blieb ihm nur die BuÃe. Vielleicht hatte er die Untat schon wiedergutgemacht, und wenn ihm nun die Flucht gelang, konnte er die Spielzeuge, die er für einen so grausamen Zweck präpariert hatte, unter Umständen vergessen. Das war der einzige positive Gedanke in dieser kalten, bewölkten Nacht.
Er ging nach Norden, mied die unbefestigten Gehsteige, blieb in den Schatten. Schichtarbeiter, die von der Moskwitsch-Fabrik nach Hause gingen, belebten die StraÃe, aber als er den Verschiebebahnhof des Werks erreichte, war der Berufsverkehr vorüber. Dichter Schnee begann zu fallen und reduzierte die Sichtweite auf hundert Meter. In der Nähe schien ein Zug zusammengestellt zu werden. Rangierlokomotiven fuhren hin und her, schoben geschlossene Güterwagen von einem Gleis aufs andere. Einige Minuten lang kauerte er neben einem Wagen, um sich ein Bild von den Vorgängen zu machen. Fünfzig Meter entfernt standen ein paar Güterwagen, von denen aus er einen besseren Ãberblick haben würde. Die Tür eines Wagens stand offen. Er ging mit gesenktem Kopf hinüber, hörte nur das Knirschen des Schnees unter seinen Sohlen und das Pfeifen der Rangierlokomotiven. Ein freundliches Geräusch, sagte er
sich; ein Geräusch, das sein Leben ändern, ihn vielleicht in die Freiheit führen würde.
Zu seiner Ãberraschung sah er Menschen in dem Güterwagen. Drei Männer. Zwei hatten Kisten mit Ersatzteilen in der Hand. Die Hände des dritten waren leer, bis er in die Tasche faÃte und ein Messer zog.
Altunin wollte etwas sagen. Ihm war es gleich, wenn sie Ersatzteile stahlen, um sie auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Ihn ging das überhaupt nichts an, doch ehe er etwas herausbekam, sprang der dritte Mann ihn an. Altunin schlug mit dem Kopf gegen eine Schiene, blieb zwar bei BewuÃtsein, war aber für einen Augenblick benommen und zu überrascht, um Angst zu empfinden. Der Dritte drehte sich um und sagte etwas. Die Antwort bekam Altunin nicht mit, aber sie kam rasch und scharf. Er war noch immer bemüht, das Ganze zu verstehen, als der Mann herumfuhr und ihm die Kehle durchschnitt. Kein Schmerz ... er wollte nur erklären ... ginge ihn nichts an... einer stand mit zwei Kartons neben ihm und hatte eindeutig Angst; komisch, dachte Altunin, ich bin doch derjenige, der stirbt.
Zwei Stunden später kam eine Rangierlokomotive nicht mehr rechtzeitig zum Stehen, als dem Lokführer ein schneebedecktes Bündel auf den Schienen auffiel. Als er sah, was er überfahren hatte, verständigte er den Rangiermeister.
13
»Erstklassige Arbeit«, kommentierte Watutin. »Die Mistkerle!« Haben die Abmachung gebrochen, sagte er sich: Ein ungeschriebenes, aber gültiges Gesetz besagte, daà die CIA in der Sowjetunion keine Sowjets töten durfte und daà das KGB in den Vereinigten Staaten Amerikaner und sogar sowjetische Ãberläufer ungeschoren lieÃ. Soweit Watutin wuÃte, hatte keine Seite jemals gegen dieses Gesetz verstoÃen, und das hatte auch seinen Sinn. Die Funktion von Geheimdiensten ist das Sammeln von Nachrichten; aber wenn die Agenten von KGB und CIA ihre Zeit mit dem Töten von Menschen verbrachten â mit den unvermeidlichen
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