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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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habt, war schon da, bevor eine Karavelle vor seinen Küsten vor Anker ging. Der Mensch ist seltsam, erst was er wahrnimmt und beschreiben kann, ist für ihn existent. Dabei ist es doch genau umgekehrt, es existiert so viel mehr, als wir wahrnehmen. Mich wundert, dass selbst Ihr solchem Aberglauben wie dem schlechten Einfluss der Sterne frönt. Doch was denkt der Mensch nicht alles, der zweifelt. Macht Euch darum keine Sorgen. Allein das Wissen zählt, das Ihr vermittelt, nicht die Namen. Wir sind Menschen, wir werden immer unvollkommen sein. Wir können zwar nach Vollkommenheit streben, doch schon Augustinus sagt: ‹Wie der Anfang aller Dinge, so ist auch die Erkenntnis ein Geschenk Gottes. Und die von Gott geschaffene Welt ist ein großer Kosmos, in dem ein Zusammenhang der Erscheinungen besteht.› Genau darauf beruht nicht nur die wunderbare Harmonie des Universums, sondern auch ein weites Feld für die beglückendsten Spekulationen. Wille und Vernunft sind frei von der Einwirkung der Himmelskörper. Der große Ptolemäus, in dessen Nachfolge Ihr mit Eurer Weltkarte steht, hat es ebenfalls so gesehen: ‹Vir sapiens dominabitur astris›.»
«Ihr habt in der Margarita ausgeführt, dass Worte als solche keine Kraft haben. Sie sind nicht das eigentlich Wirkende. Sondern die Wirkung tritt erst ein durch die göttliche Macht», erwiderte Martin Waldseemüller nachdenklich. «Meint Ihr, mit dem Wort America ist es ebenso?»
«Mag sein. Vielleicht aber auch nicht, wer kann schon das Wirken des Allmächtigen erklären. Doch er sagt uns mit der Wiedergeburt Jesu auch, dass es durch allen Schmerz hindurch immer wieder einen neuen Anfang gibt. Virgil lässt im sechsten Buch der Aeneis die Seelen in platonischer Weise aus dem Lethefluss trinken, wonach sie dann ein neues Leben beginnen. Vielleicht ist es genau das, was Ihr braucht: ein wenig vom ‹Wasser des Vergessens›.»
    Eine Woche später war Martin Waldseemüller bereit, seine große Reise anzutreten, die für ihn inzwischen schon so etwas wie eine Pilgerfahrt geworden war. Ehe er aufbrach, besuchte er jedoch noch einmal sein Elternhaus. Inzwischen lebten andere Menschen im «Haus zum Hechtkopf». Er hörte die Stimme seines Vaters über den Hof schallen. Er schaute zu den Fenstern hinauf, und die Bilder der Kindheit kamen zurück. Eines nach dem anderen. Er ließ jedes ziehen. So machte er seinen Frieden mit dem «Judenküng».
    Für den 17-jährigen Metzgersohn Martin Waltzemüller waren es von seinem Elternhaus aus nur wenige Schritte bis zur Universität gewesen und auch nur wenige Minuten Gehzeit bis zum Herzen der Stadt, dem Münster. Das «Haus zum Hechtkopf» lag nahe an der Marktgasse und nicht weit vom Martinstor entfernt. Er schlenderte die Marktgasse entlang zum Bertoldsbrunnen. Dort hatte er seine erste unschuldige Begegnung mit der Liebe gehabt. Der Ort hatte sich kaum verändert. Er fragte sich, wie viel Wasser dort wohl in den ganzen Jahren, in denen er fort gewesen war, in den Trog geflossen sein mochte. Mit einem Lächeln nahm er Abschied, passierte das Kloster der Augustiner-Eremiten und wandte sich schließlich nach links.
    Vor ihm öffnete sich der Platz, als würde plötzlich ein Vorhang fortgezogen. In dessen Mitte strebte das Gotteshaus in den blauen Himmel, an dem nur wenige Schäfchenwolken westwärts zogen. Er blickte ihnen gedankenverloren nach. So viele Baumeister hatten hier ihren Glauben und ihre Hoffnung in Stein gemeißelt, den Bau mit Zeichen und Symbolen versehen, die den Glauben lehren sollten.
    Er verweilte eine Zeit vor dem südlichen Portal, in die Betrachtung des heiligen Christophorus versunken, der das Christuskind mit der Weltkugel trägt, ehe er schließlich, Stufe um Stufe, einen der schönsten Türme der Christenheit erklomm, ganz aus Stein und doch zum Himmel hin filigran durchbrochen. Auf der Galerie legte er eine Pause ein und schaute über die Dächer der Freiburger Häuser hinweg gen Westen. Eine erdrückende Last war ihm endgültig von den Schultern genommen. Die Worte von Reisch, die Zustimmung dieses außergewöhnlichen Mannes, Mönches und Wissenschaftlers, geachtet selbst von seinen Feinden, hatten ihm seine Seelenruhe wiedergegeben. Sie waren so etwas wie eine Absolution.
    Im Geiste flog er frei wie ein Vogel über Äcker und Wiesen, über Weiler, Wälder und Flüsse, bis hin zum Atlantik, dem großen Meer, an dessen Gestaden er bald stehen würde.
    Aus heiterem Himmel fiel ihm ein, dass Sandro Botticelli sein

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