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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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weiß, mein Freund. Ich gebe zu, es war ein schlechter
Witz, den ich da gemacht habe. Warum habt Ihr den vier düsteren
Herren nichts von dem Überfall neulich erzählt? Langsam habe
ich das Gefühl, dass es in dieser Stadt jemanden gibt, der darauf
aus ist, Euch viel Ärger einzubrocken. Habt Ihr die geringste
Ahnung, warum? Oder wer dieser Tote ist?»
«Glaubt Ihr auch, ich sei ein Unhold und Mörder?», knurrte Waldseemüller.
Ringmann schüttelte heftig den Kopf. «Beileibe nicht. Wir
waren den ganzen Abend zusammen. Wann also hättet Ihr diesen Mann
töten sollen? Außerdem seid Ihr nicht der Mensch, der einen
anderen umbringt.»
Ilacomylus runzelte die Stirn, seine Antwort klang versöhnlicher.
«Ich verstehe das alles nicht. Vielleicht sind sie auf der Suche
nach …» Er schüttelte den Kopf. «Nein. Das kann
nicht sein. Warum sollte sich jemand so sehr für meine
Berechnungen und Überlegungen interessieren, dass er meine
Dachkammer durchsucht? Und wer hat diesen Mann hier ermordet? Was in
aller Welt ist da geschehen?»
«Was sagtet Ihr da?» Philesius hob den Kopf. «Von
welchen Berechnungen redet Ihr, mein werter Ilacomylus?»
«Ich wollte das ohnehin mit Euch sprechen, denn ich hoffte auf
Eure Hilfe. Aber ob das jetzt der rechte Moment ist?»
Philesius wurde energisch. «Dieser Augenblick ist so gut wie ein
anderer, zumal dies vielleicht mit all dem zusammenhängt, was Euch
in den letzten Tagen an Üblem widerfahren ist. Oder könnt Ihr
das ausschließen?»
«Nein, da habt Ihr wohl Recht. Also, es sind Berechnungen und
Überlegungen im Zusammenhang mit der neuen Seekarte, die ich
plane.»
«So, der neuen Seekarte. Ihr erzähltet davon. Demnach muss
daran etwas Besonderes sein. Also, mein Freund, nun rückt schon
mit der Sprache heraus. Macht es nicht so spannend.»
«Wahrscheinlich werdet Ihr mich für verrückt halten.»
«Ilacomylus, nun redet schon!»
Der aber wich aus. «Kennt Ihr diese Stelle aus Vespuccis
Berichten? Natürlich kennt Ihr sie. Wenn ich mich nicht
täusche, geht es dabei um seine Reise von 1499. Aber habt Ihr sie
auch gelesen, immer und immer wieder, so wie ich? Sie verschlungen,
Euch einverleibt, bis sie Teil eines jeden Eurer Gedanken war –
beim Aufwachen, beim Einschlafen? Bis diese Stücke plötzlich
begannen, sich zusammenzufügen, fast wie im Traum. Seid Ihr
morgens von Eurem Lager hochgeschossen, und hattet das Gefühl, Ihr
habt begriffen, was diese Worte bedeuten, während Euch im gleichen
Moment dieses Gefühl des Verstehens wieder entglitt? Habt Ihr wie
ich Stunden um Stunden zugebracht, es wieder zu finden? Ich meine nicht
die Stellen, in denen es um nackte Wilde geht, um Menschenfresser und
allerlei spektakuläre Sachen. Ich meine jene, in denen er ein Land
beschreibt, das riesig sein muss, eine Natur, die der unseren so fremd
ist, dass – ach, ich gebe Euch ein Beispiel mit Amerigo Vespuccis
eigenen Worten.
    Das, was ich hier gesehen
habe, war eine sehr abenteuerliche Sache, nämlich Tiere, wie ich
ihnen nie zuvor begegnete und Papageien von so verschiedenen Gattungen,
dass wir nur staunten. Einige waren rot, andere grün, schwarz und
leibfarben. Der Gesang der Vögel, die auf den Bäumen
saßen, war von einer solchen angenehmen Weise, dass wir
öfter stillhielten und uns an dieser Antwort ergötzten. Die
Bäume daselbst sind von so prächtigem Ansehen, dass wir
glaubten, wir wären in dem irdischen Paradiese.»
    Waldseemüller senkte den Kopf und nestelte an
seinem Rocksaum. Dann zog er ein eng zusammengerolltes Stück
Papier hervor und reichte es Philesius. «Damit gebe ich mich ganz
in Eure Hand. Aber ich wollte ohnehin mit Euch darüber sprechen.
Ich brauche Eure Unterstützung, Philesius. Ich weiß
niemanden, der mir sonst helfen könnte.»
    Matthias Ringmann rollte den Papierstreifen
auseinander. Dann brach er in Gelächter aus.
«Stockschwerenot! Wie seid Ihr denn darauf gekommen? Ein neuer
Kontinent, ein neuer Erdteil im Westen des Atlantiks? Auch wenn bei
Vespucci so etwas anklingt, selbst er konnte sich bisher nicht dazu
durchringen, das mit einer solchen Selbstsicherheit zu konstatieren.
Außerdem sind Worte noch immer etwas anderes als das konkrete
Abbild. Man kann immer behaupten, missverstanden worden zu sein. Ihr
hingegen lauft Gefahr, dass die Gelehrten über Euch herfallen und
Euch und Eure Seekarte in der Luft zerreißen, wenn sie erscheint.
Dabei spreche ich nur von den ernsthaften Kritikern und nicht von
jenen, die Euch die Sensation neiden, die ein

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