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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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habt mich überzeugt», wollte
er noch anfügen. Doch Martin Waldseemüller ließ ihn
kaum zu Wort kommen: «Nur so kann ich sicher ausschließen,
dass mir ein Irrtum unterlaufen ist. Ihr wisst selbst, Philesius, wie
schnell sich in eine Übersetzung ein Fehler einschleicht. Doch ich
komme momentan nicht mehr weiter. Ich habe vor Monaten an Vespuccis
Familie in Florenz geschrieben mit der Bitte, meinen Brief an ihn
weiterzuleiten. Es kam keine Antwort.»
«Das war ja ein regelrechter Vortrag, Ilacomylus. Nein, ich halte
Euch nicht für verrückt. Alle Welt weiß, dass Ihr Euch
auch in der Kunst des astronomischen Vermessens und der Geodäsie
hervorragend auskennt. Außerdem beruhen Eure Erkenntnisse ja
schließlich – zumindest indirekt – auch auf einem
Werk von mir. Ihr wollt also wirklich tun, was Vespucci selbst nicht
gewagt hat oder nicht tun wollte, nämlich Eure Berechnungen in
Form einer Karte dem Urteil der ganzen Welt auszusetzen? Edepol, beim
Pollux, Ihr habt Mut. Und wie kann ich Euch dabei helfen?»
Waldseemüller schaute seinen Freund hoffnungsvoll an. «Habt Ihr das Original, das Mundus Novus beziehungsweise De ora Antarctica zugrunde liegt? Wisst Ihr vielleicht sogar, woher ich die Quatuor navigationes bekomme? Eure 22 Verse in De ora zur Einführung sind übrigens ebenso hervorragend formuliert
wie geistreich. Aber das sagte ich ja schon bei Amerbach. Habt Ihr da
vielleicht Kontakte, kennt Ihr jemanden, über den Ihr die
Dokumente besorgen könnt?»
Ringmann verneigte sich. «Ich danke Euch erneut für Euer
Lob, geschätzter Ilacomylus. Ich muss Euch jedoch etwas von Eurer
Begeisterung nehmen. Ich habe keine genaue Abschrift, geschweige denn
die Originale von Vespuccis Briefen zur Verfügung. Meine De ora Antarctica entstand auf der Grundlage der ersten Edition von Mundus Novus, erschienen in Paris, also einer bereits editierten und damit
veränderten Version. Ich bekam die Schrift während meines
Studiums in die Hände. Hupfuff hat meinen Vorschlag sofort
aufgegriffen, sie auch in der hiesigen Region herauszubringen. Der
geschäftliche Erfolg gibt uns Recht, auch wenn inzwischen zahllose
Raubkopien auf dem Markt sind. Dieses Schicksal droht übrigens
auch Eurer Karte. Ihr werdet Raubdrucke nicht verhindern können.
Dessen müsst Ihr Euch bewusst sein.»
Die Enttäuschung war Martin Waldseemüller anzusehen. Er
wirkte völlig geknickt. «Es ist, als habe sich alles gegen
mich verschworen.»
Ringmann legte ihm die Hand auf die Schulter. «So einfach gebt
Ihr doch nicht auf, mein Freund, ich bin davon überzeugt, dass Ihr
wisst, was Ihr tut. Ehrlich gesagt, ich bin regelrecht begeistert. Wenn
ich schon nicht in Wirklichkeit in diese neue Welt reisen kann, so kann
ich es dann wenigstens mit Hilfe Eurer Karte tun, in meinen
Träumen. So, wie viele. Ich glaube daran, dass Eure
Überlegungen und Berechnungen fundiert sind. Allerdings bin auch
ich davon überzeugt, dass Ihr sicher gehen und sie auf der
Grundlage der Originale noch einmal überprüfen müsst,
wenn Ihr Euren Ruf nicht ruinieren wollt. Eigentlich hätte ich
selbst auf die Idee kommen können. Seid versichert, ich lasse Euch
nicht im Stich. Ich werde Euch helfen, Euren Plan zu verwirklichen.
Mehr noch, ich werde ihn zu meinem eigenen machen, wenn Ihr erlaubt.
Vielleicht fällt dann von dem Glanz Eures künftigen Ruhmes
ein wenig auch für mich ab.»
Waldseemüller strahlte. «Das wollt Ihr tun? Trotz allem, was Ihr mit mir erlebt habt?»
Ringmann kam nicht mehr dazu zu antworten. Im Haus war ein lautes
Krachen zu hören, dann polterten die Schritte mehrerer Männer
die Holztreppe herauf. Es klopfte an der Tür von
Waldseemüllers Kammer. Philesius reichte seinem Freund Ilacomylus
mit vielsagendem Blick das Papier mit den Berechnungen. Dieser
versteckte es hastig im Saum seines Rockes. Da flog auch schon die
Türe auf. Zwei Männer drängten sich durch die
Öffnung, der eine voraus, der andere hinterher. Zwischen sich
trugen sie einen Sarg. Ein kleines Männchen mit Spitzbart wuselte
hinterher und beäugte die Szene. «Wo ist hier der
Tote?», krähte er, obwohl die Leiche auf dem Bett kaum zu
übersehen war.
Stumm wies ihm Martin Waldseemüller mit dem Kopf die Richtung. Die
beiden muskulösen Träger ließen den schmucklosen
Fichtensarg zu Boden poltern, rissen den Deckel herunter, packten den
Toten und beförderten ihn mit einem einzigen Schwung in die
Holzkiste. Dabei entwich der Leiche ein dröhnender Furz.
Die Männer schienen nichts

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