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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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solches Werk unweigerlich
auslösen wird. Sagt mir, wieso seid Ihr Euch da so sicher?»
    «Ich bin mir überhaupt nicht sicher.
Zumindest nicht absolut. Ich kann nur wieder mit Vespucci sprechen. Er
selbst hat mich doch auf die Spur gebracht. Er muss es schon bei dieser
Reise geahnt haben. Seine Beschreibungen führen eigentlich jeden,
der die Worte zerkaut, zerpflückt, der sie dreht und wendet, sie
von vorne und hinten beleuchtet, zum selben Schluss. Er zeigt uns doch
den ganzen gedanklichen Weg, seine Beschreibungen sind nur so gespickt
mit Hinweisen, aneinander gereiht wie die Perlen an einer Kette. Und
mit jeder neuen Perle geleitet er uns ein Stück weiter in eine
fremde Welt. Lasst mich mit derselben Reise fortfahren.
    Den Lauf nach Süden
gerichtet, geht unsere Fahrt weiter. Indem wir in diesem Striche
schifften und weit in die See hinein gekommen sind: so trafen wir einen
Strom im Meere an, der von Ostsüdost nach Westnordwest zulief und
mit solcher Gewalt schoss, dass er uns in ungemeine Furcht versetzte;
und der war so schnell, dass der Strom in der Meerenge von Gibraltar
und in der bei Messina nur wie stillstehendes Wasser dagegen zu achten
sind; und weil derselbe von vorne zu auf uns stieße: so konnten
wir nicht im geringsten weiterkommen. Da die Gefahr uns vor Augen
schwebte, entschlossen wir uns itzo, gegen Norden zu segeln.
    Dann folgen Hinweise auf seine Berechnungen. Ich
kann verstehen, dass er noch nicht alles preisgeben will. Doch was er
schreibt, habe ich mit dem Stand der Sterne verglichen, mit dem
Ptolemäus, mit anderen Karten und Vespuccis Angaben, habe sie
Stück für Stück in meine Skizzen übertragen.
Zugegeben noch ungenau. Aber das ist zum Beispiel eine solche
Stelle.» Er zog ein Heft aus seinem Rock. Er musste nicht einmal
hineinschauen, um Vespucci zu zitieren. Matthias Ringmann kam die
Schrift bekannt vor. Er ließ sich jedoch nichts anmerken.
    «Ihr seid ja kaum zu bremsen, lieber
Ilacomylus!» «Ich weiß, wenn ich die Welt neu
kartographiere, werden sie über mich herfallen wie die Wölfe.
Die Menschen sind schon zu lange an ein anderes Bild des Globus
gewöhnt. Vielleicht hat Vespucci deshalb noch keine eigene Karte
veröffentlicht. Dabei ist seine letzte Reise schon eine Weile her.
Vielleicht aber auch, weil er seinen Geldgebern verpflichtet ist und
manche seiner Entdeckungen geheim halten muss. Denn wenn dort ein
vierter Erdteil ist, dann geht es im Westen noch weiter. Dann locken
dort noch andere Regionen, Reichtümer, Paradiese. Und wer zuerst
kommt, dem fallen sie in den Schoß. Doch die Geheimnisse der
Mächtigen sind mir egal.»
Matthias Ringmanns Gesicht war ernst geworden. «Verborgenes
Wissen ist Macht für die Eingeweihten, jedermann zugängliches
verliert diesen Zauber. Das Erscheinen einer solchen Karte würde
nicht jedem recht sein. Erinnert Euch, der portugiesische König
hat bereits verkünden lassen, er werde jeden ohne Gnade bestrafen,
der die Welt der Meere und Küsten jenseits des südlichen 7.
Breitengrades darstellt. Wahrscheinlich mit gutem Grund.»
Martin Waldseemüller senkte den Kopf. «Ich weiß, ich
mache mir damit Feinde, zwangsläufig. Portugal erhofft sich
große Reichtümer, neue Länder, neue Handelsplätze,
den freien Weg über das Meer zu unermesslichen Schätzen und
damit den Aufstieg zu einer glänzenden Handels- und
Seefahrernation, die alle anderen überstrahlt. Selbst den
größten Konkurrenten in diesem Wettlauf, die Spanier. Diese
hoffen wiederum, die Portugiesen zu übertrumpfen. Beide zusammen
wollen sie alle anderen klein halten, die Stadtstaaten am Mittelmeer,
die Franzosen, die Engländer. Manuel von Portugal kann angesichts
dieser bereits heftigen Konkurrenz wohl nicht auch noch ein Heer von
Abenteurern und Eroberern brauchen, die der Krone die Entdeckungen
streitig machen. Aber was schert mich das! Was interessiert mich der
Machterhalt der Mächtigen! Der Metzgersohn Ilacomylus will nicht
das Wissen für die Regierenden erweitern, für die Krone von
England, Frankreich, Portugal oder Kastilien. Ja selbst nicht für
das Heilige Römische Reich, dessen Untertan ich bin. Ich will
nicht die Hand reichen für ihre Gier, ihre Geschäfte und
Expansionsgelüste. Das Wissen um die neue Welt muss jedem Menschen
zugänglich sein. Und endlich ist dies auch möglich. Diese
wunderbare Kunst des Buchdrucks, die Gutenberg vor nun rund 50 Jahren
entwickelt hat, bietet die Voraussetzung dafür, dass die
Herrschaft des Wissens der Mächtigen

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