Der Kartograph
außerdem ein Protegé der
Medici.»
Und nun war auch Martin Waldseemüller voller Elan. Plötzlich
schien alles nicht mehr so schlimm zu sein. «Außerdem gibt
es da die Quatuor navigationes , die Grundlage der Soderini-Briefe. Vielleicht bekommt Ihr in Florenz ja sogar diese Lettera . Das wäre himmlisch. Das wäre für meine, nein, für unsere Arbeit von unschätzbarem Wert.»
Matthias Ringmann lachte lauthals. «Ich sehe schon, ich habe Euch
ein gehöriges Stück unterschätzt. Selbst in einer Lage
wie dieser bewahrt Ihr einen kühlen Kopf, denkt an nichts als an
Eure Ziele. Mein Freund, ich ziehe den Hut vor Euch. Symbolisch, da ich
gerade keinen dabei habe.»
Martin Waldseemüller sparte sich den erneuten Widerspruch. Er
wusste, dass seinem Gegenüber sehr wohl klar war, woran sein Herz
außerdem hing. Doch diese unerwartete Wendung war ein Zeichen.
Vielleicht konnte er Jean Grüninger ja wirklich dazu bringen,
seine Seekarte zu drucken. Er galt als reich, wagemutig und
Experimenten nicht abgeneigt. Es scherte ihn nicht, dass manche der
Humanisten ihn deshalb nicht ganz ernst nahmen. Nun, man würde
sehen. Jetzt musste er erst einmal fort aus Basel.
Martin Waldseemüller erfuhr nie, wie Matthias Ringmann es
geschafft hatte, Johann Amerbach von der Dringlichkeit des Aufbruchs zu
überzeugen. Er hatte sich die Nacht irgendwie um die Ohren
geschlagen. Zu seinem Onkel konnte er nicht, in seine Bleibe wollte er
nicht. Ersteres, um seine Fluchtpläne nicht vielleicht doch noch
unbeabsichtigterweise zu verraten. Das Zweite, weil er es sich nicht
vorstellen konnte, eine Nacht in einem Zimmer zu verbringen, das nach
Blut und Tod roch.
Es war Spätsommer, der Herbst nicht mehr fern, die Nächte
wurden kühler. Waldseemüller schloss sich zunächst den
Menschen ohne Obdach an, die sich in die Nischen und Ecken beim
Münster gekauert hatten. Doch von dort wurden sie schnell
vertrieben. Und so wanderte er schließlich hinunter an den Rhein,
wo er eine Gruppe Männer traf – offenbar ebenfalls ohne ein
Dach über dem Kopf –, die sich die Nacht warm tranken.
Am nächsten Morgen gabelte Ringmann einen
übernächtigten, ziemlich angeheiterten Kartographen mit
tiefen Augenringen auf. Doch Waldseemüller war guter Dinge –
besonders, als er auf sein Pferd stieg und in der Person von Marie
Grüninger den Farben des Sommers, nein, dem Sommer selbst
begegnete. Heiß, schwül, verlockend. Er wurde schlagartig
nüchtern, und die Ursache dafür war das Verlangen, das ihn
wie ein Wolf überfiel. Er hatte alle Mühe, schnell die
deutliche Auswölbung zu verbergen, die sich in seinem Schoß
abzeichnete. Marie Grüninger gab sich den Anschein, als bemerke
sie nichts. Doch Matthias Ringmann, der die Szene beobachtete hatte,
sah das kleine Lächeln, das um ihre Mundwinkel spielte. Er machte
sich Sorgen um den Freund. Wenn das so weiterging, dann brachte sie ihn
noch um den Verstand.
4.
Ringmann behielt Recht. Sie brachte ihn fast um den
Verstand. Zwei Tage lang ritt er neben ihr, versuchte ihre erregende
Gegenwart auszublenden. Doch er sah die schmalen Knöchel, wenn der
Wind ihr Reitkleid bauschte. Beobachtete, wie sie den Stoff in ihrem
Schoß glatt strich, sich mit einem Spitzentaschentuch über
die Stirn wischte, die kleine rosa Zunge, die immer wieder erschien und
scheinbar unschuldig über die vollen Lippen strich, als habe sie
Durst. Und dann, wenn er sie vom Pferd hob, wenn er sie roch, diesen
unglaublichen Duft, eine Mischung aus Schweiß, Parfum und
schierer Weiblichkeit, wenn sie vom Pferderücken hinab in seine
Arme glitt, ihr Körper den seinen streifte, bevor ihre
Füße den Boden erreichten – sein Leib schmerzte
förmlich vor Begierde.
Am dritten Tag konnte er keinen klaren Gedanken
mehr fassen, geschweige denn schlafen. Zwei Stunden lang wälzte er
sich auf seinem Strohlager hin und her, gepeinigt von dem vergeblichen
Versuch, das Bild von den prallen Rundungen ihrer Brüste zu
verdrängen, von der milchigen Haut ihres Ausschnittes. Er
erinnerte sich daran, welches Bild sie bot, wenn sie die Arme hob, um
ihre Frisur wieder in Ordnung zu bringen, wie es sich anfühlte,
wenn sie eine ihrer kleinen, etwas fleischigen Hände mit dem
Grübchen am Handgelenk auf seinen Arm legte, ohne auch nur zu
bemerken, dass ihm diese Geste einen Schauer über den Rücken
trieb. Er sah die kleinen Schweißperlen auf ihrer etwas schmalen
Oberlippe wie durch ein Brennglas.
Das unrhythmische Schnarchen eines anderen Gastes
drang in seine
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