Der Kartograph
trat
näher zu ihm. Ihre Finger, die mehr an die eines Kindes denn an
die schmalen Hände einer erwachsenen Frau erinnerten, begannen
damit, sein Wams aufzuschnüren. Es scherte sie nicht, dass sie
beide im Licht des Vollmondes schon von weitem zu sehen waren. Sie
streichelte seine Haut, fuhr in den Ausschnitt seines Hemdes.
Das war zu viel für ihn. Die leise Warnung
seines Gewissens, die Bedenken, dass es ihm sein künftiger
Gastgeber, Jean Grüninger, übel nehmen könnte, wenn er
seine Nichte verführte, verloren sich vollends, weggeschwemmt von
einem Verlangen, das mit einer Macht über ihn hereinbrach, die
selbst einen Felsen fortgetrieben hätte. Er nahm sie auf seine
Arme, trug sie unter das Vordach des Stalles, bettete sie auf das
Stroh, das dort schon für den nächsten Morgen zur Verteilung
an die Pferde bereit lag. Wieder lachte Marie leise. Ihr Mund schmiegte
sich an seine Halsbeuge, er spürte ihren Atem auf seiner Haut.
Wenn er später an diese Momente dachte, dann
kam es ihm vor wie ein Fiebertraum, Bilder wie aus einer anderen Welt.
Er erinnerte sich kaum, wie er sie hastig entkleidet hatte, es fast
nicht erwarten konnte, ihren nackten Körper in seinen Armen zu
halten. Auch sie riss an seiner Kleidung, keuchte, als sie seine
Hände auf ihren Brüsten fühlte, seinen Unterleib auf dem
ihren. Sie war so wunderschön, ihr Körper, beschienen vom
Mondlicht, so sinnlich, so sanft. Sie drängte sich ihm entgegen.
Seine Hände strichen die weichen Innenseiten ihrer Schenkel
entlang, tasteten sich zu jener feuchten Stelle vor, aus der die Hitze
zu ihm strömte. Einladend, fordernd. Erneut stöhnte sie auf.
Ihr Unterleib wölbte sich. Er versuchte, den Augenblick
hinauszuzögern, ihn zu verlängern, die Zeit anzuhalten bis in
alle Ewigkeit. Doch sein Körper hatte sich schon längst
verselbständigt, er sah ihre gespreizten Schenkel, ihren weit
geöffneten Schoß. Da nahm er sie. Zwei Körper zu einem
verschmolzen. Zwei Verlangen, die zu einem einzigen Pulsieren wurden.
Erst später in dieser Nacht, als sie schon
längst gegangen war, als er ihren Geruch wie ein Echo auf seinem
Körper wahrnahm, wurde ihm bewusst, dass Marie Grüninger
keine Jungfrau mehr gewesen war. Und dass sie nach den ersten
Sätzen kein weiteres Wort miteinander gewechselt hatten.
Matthias Ringmann begriff sofort, was geschehen
war, als er die beiden am nächsten Morgen erblickte. Marie
Grüningers Gesicht trug den Ausdruck einer Katze, die an einem
Sahnetopf geschleckt hatte. Ansonsten behandelte sie Martin
Waldseemüller kühl. So, als hätte sie nicht in der
letzten Nacht in seinen Armen gelegen und vor Lust gestöhnt. Er
sah die Verwirrung und die Sehnsucht in den Augen des Freundes. Dieser
begriff nicht, dass die Liebe für Marie Grüninger nichts als
ein Spiel war, eine Möglichkeit, ihre Macht zu erproben. Er kannte
solche Frauen und hatte sie immer gemieden. Frauen wie die Sirenen, vor
deren verführerischem Gesang Odysseus sich und seine
Gefährten nur hatte retten können, indem er sich am Mast des
Schiffes festbinden ließ und ihnen befahl, sich die Ohren mit
Wachs zu verschließen. Matthias Ringmann wünschte sich, er
hätte auch den Freund festbinden können. Doch dieser war der
Verführung längst erlegen, sehnte sich sogar nach dem
Schmerz, den die Sehnsucht nach diesem Mädchen mit sich brachte.
Martin Waldseemüller verstand nicht, was mit
ihm geschah. Er wurde von Gefühlen heimgesucht, über die er
keine Kontrolle mehr hatte. Je näher sie Straßburg kamen,
umso kühler gab sich Marie Grüninger ihm gegenüber. Wann
immer er versuchte, sich ihr zu nähern, flackerte in ihren Augen
eine unmissverständliche Warnung auf. Trotz seiner fast
übermächtigen Sehnsucht wagte er es nicht, diese zu
ignorieren. Er fürchtete, dass sie ihn dann ganz aus ihrer
Nähe verbannen würde. Das hätte er nicht ertragen.
Philesius versuchte, seinen Freund aufzumuntern, hinter seinem
verzweifelten Fiebern wieder jenen begeisterungsfähigen Menschen
hervorzulocken, als den er ihn kennengelernt hatte. Jenen Mann, dessen
brillanter Verstand und dessen Fantasie ihn von Anfang an beeindruckt
hatten. Er erzählte ihm Näheres von den Menschen, die sie
beide treffen würden. Etwa von dem Humanisten und Lehrer Jakob
Wimpfeling, um den sich ein Kreis bedeutender Gelehrter versammelt
hatte. Oder von Beatus Rhenanus, wie Wimpfeling ein gebürtiger
Schlettstädter. Ja überhaupt von Schlettstadt, von der
Lateinschule, an der er unterrichtet
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