Der Kartograph
Wachträume und sorgte dafür, dass er vollends
aus seinem Dämmerschlaf erwachte. Es war schwül in dem zum
Nachtquartier umgebauten Schankraum, in dem mindestens zehn Reisende
Unterkunft gefunden hatten. Und es stank, nach dem Schweiß der
Reise, nach Darmwinden, nach Urin, nach den sauren Ausdünstungen
des Alkohols und nach ranzigem Fett.
Waldseemüller wälzte sich hin und her.
Schließlich gab er auf und erhob sich. Die Atmosphäre des
Schlafraumes nahm ihm die Luft. Er musste nach draußen, sonst
erstickte er.
Matthias Ringmann sah den Freund gehen – er
wusste, was ihn trieb: ein Kater auf der Suche nach einer läufigen
Katze. Er hoffte nur, dass Marie Grüninger klug genug war, die
Sache nicht auf die Spitze zu treiben. Die Sache. Oh ja, er erinnerte
sich gut. Er lächelte der Dunkelheit zu, stellvertretend für
all die Frauen, die ihn in ihre warmen Arme aufgenommen, die ihm
geholfen hatten, den Schmerz in der Brust für einige Zeit zu
vergessen. Ringmann unterdrückte den Husten, schluckte ihn
zurück in jene Stelle seiner Brust, die lebhaft protestierte. Doch
er behielt sich eisern im Griff. Er konnte nie schlafen in diesen
Gemeinschaftsunterkünften, immer in der Furcht, die anderen mit
seinen Hustenanfällen zu stören. Er wusste, auch er
würde nicht mehr lange in diesem Raum bleiben können. Er
wollte dem Freund jedoch nicht nachgehen, nicht den Eindruck erwecken,
als würde er ihm nachspionieren. Er sah eine Ratte durch das
Zimmer huschen. Er hasste Ratten. Sie erinnerten ihn an die Zeit, in
der sein Körper verrotten, seine Seele in der Hölle schmoren
würde. Er hatte nicht mehr viele Jahre. Gedankenverloren wischte
er ein Kakerlake weg, die über seinen Arm lief.
Martin Waldseemüller reckte sich und sog die
Nachtluft ein. Die Glieder taten ihm weh. Von der Reise und vom
verkrampften Liegen auf schlecht aufgeschüttetem Stroh. Das Licht
des Vollmondes zeichnete dunkle Schemen auf den Boden vor der Herberge.
Es waren die Schatten der Äste einer Linde, die in der Nähe
des Ziehbrunnens stand, die Umrisse des Hausdaches. Aus dem Stall drang
das Rascheln des Strohs nach draußen, das gedämpfte Wiehern
eines Pferdes, auf das ein leises Schnauben folgte. Die Welt wirkte
friedlich. So, als gebe es keine Wegelagerer, keine Mörder, keine
Kriege. Aus dem nahen Wald ertönte die Stimme eines
Käuzchens, als wolle der Vogel ihn verspotten. Er streckte sich
erneut, genoss die klare Luft dieser Spätsommernacht, die Stille,
die über dem Land lag. Der Sturm seines Verlangens nach Marie
legte sich langsam und er atmete wieder ruhiger.
«Konntet Ihr auch nicht schlafen, Ilacomylus?»
Er fuhr herum. Da stand sie vor ihm, die Frau
seiner schwülen Träume, gebadet vom Mondlicht. Ihre
großen Augen schimmerten. Er stöhnte auf. Erneut
überfiel ihn die Begierde wie ein wildes Tier, er bekam einen
Schweißausbruch. Das Ziehen in seinem Unterleib wurde
übermächtig. Er hatte nichts mehr unter Kontrolle. Seine Hand
bewegte sich wie von selbst, sein Arm legte sich um ihre Taille, er zog
sie an sich. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass sie sich
nicht wehrte. Ihr Körper schmiegte sich an seinen. Durch den Stoff
ihres Kleides konnte er ihre Brüste spüren, ihren Unterleib,
dessen Hitze ihn fast verrückt machte.
Sie löste sich aus seinen Armen, trat einen
Schritt zurück. Diese plötzliche Trennung, der Abstand
zwischen ihnen fegte auch den letzten Rest seiner Vernunft hinweg. Er
versuchte erneut, sie an sich zu ziehen. Doch dieses Mal spürte er
Widerstand. Das brachte ihn halbwegs zur Besinnung. Erst dann begriff
er, was sie tat. Sie schnürte ihr Mieder auf, zog das Hemd
darunter über ihre linke Schulter und befreite eine dieser runden,
weichen, großen Brüste, die er sich so oft schon nackt
vorgestellt hatte. Der Mond schien auf ihre steife Brustwarze, und er
sah die Lust auch in ihren Augen.
Marie Grüninger kannte keine Scham. Sie stand
im Mondlicht und war sich des Anblickes sehr wohl bewusst, den sie bot.
Eine Venus, eine Diana, eine Göttin der Jagd. Und ihr
gegenüber dieser Mann, aus dessen Lust sich ihre Lust speiste. Sie
sah in seinen Augen, welche Macht sie über ihn hatte. Sie genoss
es. Das war es, was sie an der Liebe am meisten liebte. Die Macht, die
eine Frau dann über einen Mann hatte. In der Liebe waren die
Verhältnisse umgekehrt. Zumindest, so lange das Begehren regierte.
Er war unfähig, etwas zu tun, etwas zu sagen.
Er starrte sie nur an. Marie Grüninger lachte leise,
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