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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Monstrum
gefräßig forderte. Jean Grüninger stand mitten im Raum,
einen warmen Mantel mit pelzbesetztem Kragen um die Schultern, und gab
dem Jungen zu seiner Rechten Anweisungen. Der Setzer am großen
Fenster gegenüber war gerade mit der Herstellung des Schriftsatzes
beschäftigt. Er reihte Letter an Letter in seinen Winkel, Reihe um
Reihe, nach einer Vorlage, die er an einem Balken in Höhe seiner
linken Schulter befestigt hatte. Martin Waldseemüller konnte nicht
erkennen, was darauf stand. An einem Tisch hinter dem Setzer waren drei
weitere Männer emsig bei der Arbeit, unter ihnen auch Matthias
Ringmann. Er korrigierte offenbar gerade einen Probeabzug. Philesius
spürte den Blick des Freundes und zwinkerte ihm lächelnd zu.
    Die beiden anderen Männer waren in eine
ziemlich lautstarke Auseinandersetzung verstrickt. Beide brüllten,
um das Krächzen und Quietschen der Druckerpresse zu
übertönen. Doch am lautesten war das Hämmern, mit dem
ein Vierter gerade den Stempel mit einem Buchstaben in eine flache
Kupferplatte trieb, um die Matrix für den Guss der Lettern
vorzubereiten. Soweit Martin Waldseemüller ausmachen konnte, war
der eine der Streithähne ein ziemlich erboster Autor, der sich mit
einem weiteren Lektor wegen einer Druckfahne zankte. Der letzte der
Männer im Raum ließ sich durch das Gebrüll und den
Lärm keinen Moment aus der Ruhe bringen. Er zählte mit
großer Langsamkeit die bereits bedruckten Bögen.
    Jean Grüninger bemerkte, wie sich der
abwesende Blick in den braunen Augen seines Gastes verlor, wie dieser
erst neugierig wie ein kleiner Junge seine Umgebung betrachtete und
dann fassungslos auf das Schnitzmesser in seiner Hand starrte. So, als
sähe er ein solches zum ersten Mal. Er ging zu ihm hin und legte
ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. «Magister, ich
sehe, die Erde hat Euch wieder.»
    Martin Waldseemüller blickte auf und schaute
in grüne Augen, die zwischen mächtigen Brauen und nicht
weniger feisten Wangen fast verschwanden. Augen von derselben Farbe,
wie sie auch Marie hatte. Und doch ganz anders. Dieser Mann gab sich
jovial, schien aber mit allen Wassern gewaschen und mit dem Instinkt
eines Mannes gesegnet, der weiß, wie man ein gutes Geschäft
macht. Jean Grüninger seinerseits begriff zum ersten Mal, was sein
Lektor und Freund Matthias Ringmann an diesem Mann fand, den er ihm da
so unverhofft ins Haus geschleppt hatte. Er erkannte den wachen
Verstand in den Augen, die Sensibilität, aber auch die Kraft und
Entschlossenheit in diesem Gesicht. Ringmann hatte ihm im Vertrauen von
den Berechnungen Waldseemüllers erzählt, von diesem vierten
Kontinent, einem völlig neuen Erdteil, den die Seefahrer entdeckt
haben sollen. Er hatte es für die Idee eines Wahnsinnigen
gehalten. Nun begann er zum ersten Mal, daran zu glauben, dass dieser
Waldseemüller Recht haben könnte. Etwas im Blick seines
Gastes sagte ihm, dass dieser mehr war als ein verschrobener Spinner,
völlig außer Sinnen vor Liebe nach einem Mädchen, das
demnächst einen anderen heiraten würde. «Verliebt wie
ein räudiger Straßenköter», dachte er mitleidig.
    Grüninger war kein Mann, der sich Illusionen
machte, auch wenn er gerne seinen Fantasien nachhing. Schon gar nicht
über Menschen. Er kannte seine Nichte Marie. Er war froh, sie bald
unter der Haube zu wissen. Doch dieser Waldseemüller würde
wohl trotzdem nicht der letzte Mann sein, den sie um den Verstand
brachte. Er beneidete ihren Verlobten nicht, hoffte, dass dieser die
Kraft haben würde, dieses wilde Mädchen zu zähmen. Aber
er bezweifelte es. Maries künftiger Gatte war kein
Schwächling, aber auch kein Mann, der einer Frau wie Marie
gewachsen war. Er war jedoch ein guter Mensch, und seine Nichte konnte
froh sein, einen solchen Gatten zu bekommen. Einen, der bereit war, sie
zur Frau zu nehmen, obwohl sie keine große Mitgift in die Ehe
brachte.
    Jean Grüningers jüngerer Bruder war kurz
nach der Geburt Maries gestorben. Sie konnte sich an ihn nicht mehr
erinnern. Der Drucker hatte sein Bestes getan, um die Vaterstelle bei
ihr zu vertreten. Doch weil er seine eigene Familie hatte, war ihm dies
nur unzulänglich gelungen. Und Maries Mutter, eine ehemalige
Bedienstete der Familie, bekam ihre Tochter nicht wirklich in den
Griff. Sie war ebenfalls früh gestorben. Auch wenn er nichts
Genaues wusste, Grüninger ahnte, was zwischen Waldseemüller
und Marie geschehen sein musste.
    Martin Waldseemüller war sich dessen bald
bewusst. Er blieb

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