Der Kartograph
die
Druckerei Grüninger auch auf den Markt brachte – und das war
einiges –, Andreas Schott der Ältere kaufte es. Ihr Kind
würde in behüteten Ver- hältnissen aufwachsen,
beschützt von der Macht des Geldes, die letztlich immer siegte.
Martin Waldseemüller sah Marie vorne neben ihrem Verlobten vor dem
Altar des Straßburger Münsters knien. In ihrem prachtvoll
mit Perlen bestickten und mit Glitzerfäden durchwebten Gewand
wirkte sie wie ein vom Himmel gefallener Engel. Dieser Eindruck wurde
durch die golden fluoreszierenden Lichter noch verstärkt, die
durch die prachtvollen Kirchenfenster fielen. Die Straßburger
Glasmacher waren bekannt für ihre besondere Kunst im Schaffen
dieser Glanzlichter. Die Schleppe bauschte sich hinter der Braut, als
hätte sie Flügel. Er wusste, dass sie kein Engel war. Und
während sie im Angesicht des sterbenden Christus am Kreuz ihrem
künftigen Gatten vor Gott die Treue schwor, nahm er Abschied von
einer Hoffnung, die bis zuletzt nicht hatte sterben wollen.
Er war so beschäftigt mit sich selbst, dass er gleich mehrere
Dinge nicht bemerkte: Die Augen von Margarete, Amerbachs Tochter,
streiften ihn immer wieder. Einige Meter weiter, im nördlichen
Kreuzflügel des Münster-Querschiffes, betrachtete ein Mann
mit nicht besonders glücklichem Gesichtsausdruck angelegentlich
die Motive der alten Fenster aus dem 12./13. Jahrhundert. Sie zeigten
die beiden heiligen Johannes, ein Urteil des Salomon und eine kleine,
betende Jungfrau. Ein Zweiter schien den mit Fabelwesen verzierten
Fries des Taufbeckens zu studieren. Von Zeit zu Zeit versicherte er
sich mit einem Blick ins Mittelschiff, dass Martin Waldseemüller
noch auf seinem Platz verharrte.
Ein Dritter, streng gekleidet mit eher südländischem
Aussehen, beobachtete alle drei: die Männer im Kreuzflügel
und Martin Waldseemüller. Er hatte sich dafür im Schatten
einer der Säulen des Mittelschiffes postiert, so dass seine Augen
nicht zu sehen waren. Auf jeden zufälligen Beobachter musste er
wie ein Mann wirken, der sich brennend für das Gehäuse der
Orgel interessierte. Und das würde in Straßburg niemanden
sonderlich erstaunen. Die bizarren Figuren der Orgel, bewegliche
Puppen, waren weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt.
Insbesondere der berühmte brüllende Affe war bei jeder
Ostermesse der große Anziehungspunkt für die Massen, die
Bauern, die Handwerker, die Knechte und die Mägde. Denn er
prangerte lauthals die Exzesse der Kirchenfürsten an. Kaum jemand
ahnte, dass zu dieser Zeit im Inneren des Affen ein Kirchendiener
steckte, der der Kirchenschelte mit seiner Stimme oft mehr Gehör
verschaffte als seinen Oberen lieb war. Doch sie konnten wenig dagegen
unternehmen. Sie hätten einen Aufstand der Straßburger
riskiert, wenn dem Affen zu Ostern das Maul verboten worden wäre.
Einer der beiden Männer im Querschiff begab sich unauffällig
in die Nähe Waldseemüllers, als dieser sich zusammen mit den
übrigen Hochzeitsgästen anschickte, das Münster zu
verlassen. Mit der Geschmeidigkeit einer Katze schlich er sich von
hinten an ihn heran, als er nach draußen getreten war. Er zog
geschickt einen Knüppel unter seinem Mantel hervor, hob ihn und
schlug zu. Im selben Moment drehte sich Martin Waldseemüller um
und blickte seinem Angreifer direkt in die Augen. Dann ging er zu
Boden. Frauen schrien auf, beinahe wären einige der Nachfolgenden
auf ihn getrampelt. Doch die korpulente Gestalt Grüningers wirkte
wie ein Fels in der Brandung. Von all dem bekam Martin
Waldseemüller zunächst nichts mit.
Die Braut betrachtete die Szene mit einer Mischung aus Besorgnis und
Verärgerung. Als er leise stöhnte, gewann die
Verärgerung die Oberhand. Nun hatte dieser Mann ihr auch noch den
großen Tag verdorben, der angeblich der wichtigste und
schönste im Leben eines Mädchens sein sollte.
Wieder einmal erwachte Martin Waldseemüller auf einem ihm fremden
Kanapee, über der Stirn ein feuchtes kühlendes Leinentuch.
Neben ihm stand Philesius. «Es scheint, als wolltet Ihr daraus
eine Gewohnheit werden lassen, werter Ilacomylus. Meint Ihr nicht, dass
Euer Schädel das auf die Dauer übel nehmen könnte?»
Dem «werten Ilacomylus» war nicht nach Scherzen zumute. Ihm
dröhnte der Kopf. Er hob die Hand und drückte vorsichtig auf
die Stelle, die am meisten schmerzte. Das hätte er nicht tun
sollen, der Schmerz stach wie ein Messer.
«Ihr habt großes Glück gehabt», meldete sich
Jean Grüninger zu Wort. Offenbar habt Ihr Euch
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