Der Kartograph
Sohn, ihr Bruder Piero, die Macht der Medici durch seine Eitelkeit und Selbstherrlichkeit verspielt hatte. Bevor Piero Soderini von der Signoria zum Gonfaloniere, zum ersten Mann des Stadtstaates gewählt worden war. Bevor die Florentiner Signoria sie, ihren Mann Piero Ridolfi und die Kinder aus Florenz vertrieben hatte, ihrem Florenz. Bevor sie alles verloren hatten. Jetzt lebten sie in bescheidenen Verhältnissen auf einem Bauernhof in der Nähe der Stadt.
An diesem Tag, bei dieser Begegnung, stand ihre Zukunft auf dem Spiel, das wusste sie. Ihr Bruder Giovanni, der Heuchler, hatte es ihr unmissverständlich klar gemacht. Ihr Bruder, der Kardinal – die feinen Linien, die die Bitterkeit um ihre Mundwinkel gegraben hatte, wurden tiefer. Seit Pieros Tod war Giovanni das Oberhaupt des Hauses Medici. Zurzeit betrieb er in Rom seinen Aufstieg in der Hierarchie der Kirche. Er wollte auf den Stuhl Petri. Dafür scheute er vor keiner Intrige zurück, scharwenzelte um jeden herum, der ihm dabei helfen konnte. Mindestens ebenso wichtig war ihm jedoch etwas anderes, und hierin konnte sie ihn verstehen. Er wollte die politische Macht der Familie über Florenz zurück.
Um seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen, benötigte er Un - summen. Sein Netz von Günstlingen und Agenten verschlang unglaubliche Mittel. Reichtümer, die ihm das Bank- und Handelshaus der Medici zur Verfügung stellen musste. Doch in- zwischen waren die Flügel beschnitten, die die Familie noch unter Cosimo dem Alten bei ihren Geschäften von Erfolg zu Erfolg getragen hatten. Viele Hoffnungen bezüglich des künf- tigen Reichtums ruhten auf den Entdeckungen des Amerigo Vespucci.
Dieser war insgeheim noch immer der Diener, der Agen t der Medici. Ohne die Familie wäre er niemals nach Spanien gekommen, niemals an Bord eines Schiffes. Oh, er hatte das Angebot gerne angenommen, trotz des hohen Preises. Es war schon zu lange Amerigos Traum gewesen, die Anker zu lichten und über den Atlantik zu segeln. Er war kein junger Mann mehr gewesen, damals. Die Medici hatten es dennoch für ihn möglich gemacht. Sie hatten ihn offiziell von seinen Aufgaben im Bankhaus entbunden, hatten ihm die richtigen Kontakte vermittelt, hatten geschoben, hatten bestochen. In gewisser Weise, Amerigo, habt Ihr den Pakt mit dem Teufel geschlossen, dachte sie. Für einen Traum habt Ihr Eure Seele verkauft. Denn der Teufel holt sich die Seinen immer.
Deshalb gehörten Vespuccis wichtigste Entdeckungen de n Medici. Nur den Medici. So war es beschworen. Deshalb ent- hielt der Brief des Entdeckers an den Vetter des Vaters, Pier- francesco de’ Medici, verabredungsgemäß nur einen Teil von Amerigos Erkenntnissen, den unwichtigeren. Pierfrancesco, ein Spross der zweiten Medici-Linie, der Leiter des Bankhauses, hatte dafür gesorgt, dass diese Reisebeschreibungen erst veröffentlicht wurden, nachdem er sie noch einmal zensiert hatte. Die geheimen Papiere, ja alle wirklich wichtigen Dokumente lagerten sicher in einem Versteck in Pierfrancescos Haus.
Giovanni tat als graue Eminenz im Hintergrund auch jetz t noch alles, um sicherzugehen, dass die Welt von den Entdeckungen des Amerigo Vespucci nur das erfuhr, was den Medici genehm war. Er traute niemandem. Nach dem Tod von Pierfrancesco vor zwei Jahren hatte ihr Bruder sofort reagiert, dessen gesamten Haushalt durchsuchen lassen, jede Kammer, je- den Winkel. Giovanni wusste, wie man solche Aktionen schnell in die Wege leitete.
Und nun waren auch die geheimen Teile des Berichtes, jene, die niemals veröffentlicht worden waren, in seinem Besitz. Dazu das so wertvolle Logbuch, Vespuccis sorgsam geführte Tabellen, vor allem aber Notizen und Skizzen, in denen es um ein Verfahren zur Messung der Längengrade ging. Das vermutete sie zumindest. Wenn diese Überlegungen stimmten, wäre es eine Sensation, was der ehemalige Buchhalter da entwickelt hatte. Zum ersten Mal wäre es möglich, den Kurs eines Schiffes nicht nur über die Breite, sondern auch über die Länge zu bestimmen. Das versprach mehr Sicherheit, weniger Schiffswracks auf dem Meeresgrund, neue Entdeckungen. Damit erst gehörte die neue Welt wirklich den Medici.
Giovanni hatte es ihr immer und immer wieder erklärt, um ihr die Wichtigkeit ihrer Mission in Straßburg einzubläuen. Sie erinnerte sich genau an die schneidende Stimme. Als Kin- der hatten sie sich gut verstanden. Doch er war schon längst ein anderer geworden, ein Fremder. Er benutzte die Menschen sei- ner Umgebung, zog an
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