Der Kartograph
zweites Anliegen, Matthias Ringmann für dieses Vorhaben zu gewinnen. Denn schließlich sprach dieser nicht nur perfekt Latein, sondern dazu noch Griechisch und Hebräisch. Lud wusste auch bereits, wo er eine Abschrift des originalen Ptolemäus bekommen würde. Von seinem Freund Jean Pélerin, genannt Viator, einst Kirchendiplomat im Dienste des Hauses Anjou, bis zu dessen Tod enger Vertrauter des verstorbenen König Ludwig XI. von Frankreich, Kanonikus von Toul und sein Seelenbruder, mit dem er am Gymnasium Vosagense von Saint-Dié so manche Stunde über den Studien der Astronomie und der Geographie zugebracht hatte.
Als Lud von den Plänen Waldseemüllers hörte, eine Seekarte mit den Regionen der neuen Welt herauszubringen, war er hellauf begeistert. «Das wäre die ideale Ergänzung! Ein Kartograph, der sich mit den neuen Territorien auskennt, ein Gelehrter, der sich auf die Sternenkunde, die Geographie, die Kosmographie und auch noch auf die Fertigkeit des Holzschnitts versteht. Und dazu noch ein Magister der Theologie. Eure Karte im überarbeiteten Ptolemäus, die neue Welt als Teil der alten. Ein neuer Erdteil, sagt Ihr? Welche Perspektiven das eröffnet! Es ist fantastisch! Ihr seid genau der Mann, den wir bei uns so dringend brauchen», rief er aus und umarmte den Verblüfften.
Matthias Ringmann lachte. «Ich hatte Euch als einen eher ernsten Menschen kennengelernt, Lud. Ihr seid ja ganz aus dem Häuschen.»
«Ich werde Euch nie vergessen, dass Ihr mir Ilacomylus vorgestellt habt, Philesius.»
«Nun, ich werde die Schulden schon noch eintreiben», erwiderte der so Gelobte in seiner trockenen Art.
So hörte Magister Martin Waldseemüller, genannt Ilacomylus, der Metzgersohn aus Freiburg, zum ersten Mal Näheres von jener Runde Gelehrter, die im Schutz des Herzogs von Lothringen in einem kleinen lothringischen Flecken im Tal von Galilée am Fluss Meurthe dabei waren, die Welt auf der Grundlage der ptolemäischen Erkenntnisse neu zu sortieren und neu zu beschriften.
Und das alles in einer eigenen Druckerei. Pierre Jacobi, der Pfarrer und Schriftsetzer, der Lud begleitete, hatte im Auftrag des Herzogs von Lothringen bereits eine officina liberaria in Saint-Nicolas-de-Port installiert. René von Lothringen beauftrage nur Menschen, denen er bezüglich dieser neuen Technik vertraue, mit der es so einfach geworden war, Informationen, auch gefährliche, zu multiplizieren, wurde ihm erklärt.
Aufregende Aussichten taten sich vor Martin Waldseemüller auf, Visionen von Legionen von Karten, Manuskripten, Atlanten, von gelehrten Diskussionen. Menschen, mit denen er über seine Ideen, seine Vermutungen, seine Gewissheiten sprechen konnte. Auch Lud war schließlich ein bekannter Kosmograph und Geograph. Das waren Männer, die seine Sehnsüchte teilten. Endlich würde er nicht mehr allein sein – abgesehen von Philesius natürlich.
Dann fiel ihm etwas ein: «Jean Pélerin, also Viator, der glückliche Besitzer eines ptolemäischen Originalmanuskriptes – ist das nicht der Mann, der erst in diesem Jahr die Artificali Perspectiva herausgebracht hat? Ich habe von dieser aufregenden Veröffentlichung über die Perspektive gehört. Es soll eine Schule des Messens und des Sehens, von Verhältnissen und Entfernungen, von der Theorie des Goldenen Schnitts sein. Ich muss sie unbedingt lesen. Ein solches Werk ist unschätzbar auch für die Kartographie, wo so vieles eine Frage der rechten Perspektive ist, wo die kleinste Verzerrung ein Schiff unweigerlich in den Untergang führen kann. Dieses Werk wird auch die Kunst verändern. Sagt, ist das derselbe Pélerin? Ich würde meine rechte Hand darum geben, diese Abhandlung einmal lesen, ihn einmal treffen zu dürfen.»
Martin Waldseemüller wäre vor lauter Aufregung beinahe wie ein kleiner Junge von einem Bein auf das andere gehüpft.
Gauthier Lud musste angesichts dieses Enthusiasmus lächeln. Oh ja, er kannte diese Erregung, die zur Sucht werden konnte, die ebenso sicher besoffen machte wie ein starker Wein. Diese unnachahmliche Mischung aus Neugier und dem Gefühl, dass irgendwo am Horizont des Verstandes, am Ende des Regenbogens etwas völlig Unbekanntes lag, etwas, das noch nie jemand gedacht hatte, eine Erkenntnis, die die Welt verändern würde. Oder besser, die half, sie zu sehen, wie sie wirklich war, die half zu begreifen. Das fühlte auch dieser Martin Waldseemüller mit seiner festen Überzeugung, es gebe einen weiteren, bisher unbekannten Erdteil. Weil es einfach nicht
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