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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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schließlich mit schwerer Zunge. Er war schon längst nicht mehr ganz nüchtern. Das galt aber auch für Ringmann. «Mein lieber Ilacomylus, das ist eine besonders gute Idee», konstatierte dieser und schwankte heftig. Waldseemüller konnte ihn für einen kurzen Moment noch halten. Doch da er selbst nicht mehr ganz sicher auf den Beinen stand, fanden sich beide plötzlich auf dem feuchten Straßburger Pflaster wieder. Es hatte zu nieseln begonnen. Da saßen sie nun und keuchten vor Lachen. Zwei oder drei Nachtschwärmer machten einen weiten Bogen um die beiden Männer, die mitten im Straßendreck hockten, wie die Verrückten lachten und sich dabei gegenseitig abwechselnd auf die Schulter und dann klatschend auf die Schenkel klopften.
«Hoppla, ich hatte nicht gedacht, dass dich dieser Vorschlag so umwerfen würde, Philesius», keuchte Martin Waldseemüller stockend zwischen mehreren Lachanfällen hervor.
«Du bist auch nicht gerade fest auf den Beinen, also mach mir keine Vorhaltungen. Dabei bist du der Ältere, Ilacomylus, du solltest ein Vorbild für mich sein», entgegnete Ringmann betont würdevoll. Dann prustete er erneut los.
«Oh, da hast du vielleicht Recht», meinte Ilacomylus gespielt zerknirscht. «Ich sollte wirklich besser auf dich aufpassen. Und wenn wir jetzt nicht bald aufstehen, dann könnte es uns noch übel bekommen, weil uns der Arsch abfriert. Am Ende werden wir noch krank. Also, mein Freund, steh auf. Wir sollten schnellstens in die nächste Schenke und uns aufwärmen.»
Das fand Philesius auch. Gemeinsam rappelten sie sich irgendwie hoch. Die nächste Schenke war nicht weit. Und dort schworen sie sich bei mehreren weiteren Bechern Bier ewige Freundschaft. «Ich komme, ich komme bald nach Saint-Dié. Darauf schwöre ich jeden Eid», versprach Philesius bierselig immer wieder.
Es dauerte viele Monate, bis er sein Versprechen wahr machte. Kurz nach dem Aufbruch von Waldseemüller und Gauthier Lud nach Saint-Dié begann es zu schneien. Die Passstraße, die über die Vogesenkette bis in den Kessel führte, in dem SaintDié lag, war zugeschneit. Die im Sommer grauen, nun mit Schnee bedeckten Felsen wachten wie kantige Monster über der Stadt, in der René II. , Herzog von Lothringen und Bar, Graf von Vaudément, durch seine Mutter Yolande Abkömmling des Hauses Anjou, Enkel des guten Königs René, einige der kreativsten und gebildetsten Geister Europas zusammengeholt hatte. Bis der Frühling kam, der Schnee abtaute und die Passstraße wieder frei war, würden sie keinen durchlassen, der von Osten aus über die Berge wollte. Das galt auch für die Verfolger Martin Waldseemüllers.
Als diese endlich herausgefunden hatten, wo er sich aufhielt, da war der Weg schon unpassierbar. Doch sie würden nicht aufgeben. Damals wusste Martin Waldseemüller noch nicht, dass es für einen Mann mit seinen Plänen in diesem Teil der Welt keinen sicheren Ort mehr gab.
7.
    «Seht Ihr, die Erde ist eine Kugel. Sicher ist sie das. Wer anderes behauptet, ist ein Idiot. Hier, auf dieser beweglichen Scheibe sind die wichtigsten Orte zu Wasser und zu Land markiert. Und da ist Europa, auf dem 30. Breitengrad zwischen dem Pol und dem Äquator. Doch schaut weiter: Diese Scheibe dreht sich nun unter einem festen Kreis, auf dem die Stunden eingezeichnet sind. So wird deutlich, wie sich diese Kugel bewegt. Aber das muss noch verfeinert werden, alles ist noch zu grob. Betrachtet das hier …»
    «Erklärt Ihr unserem Magister Ilacomylus nicht schon zum zehnten Mal Eure Sicht des Himmels und der Erde, werter Onkel?» Nicolas Lud war in den Raum gekommen, ohne dass einer der beiden Männer es bemerkt hatte.
    «Ach, ich wollte, Euer Onkel hätte noch viel mehr Zeit dafür», erwiderte Martin Waldseemüller.
«Nun, das, was ich von Euch zu lesen bekomme, ist ja auch bemerkenswert. Ich habe unseren Vespucci noch einmal genau durchgearbeitet. Wartet, hier, die beiden Absätze mit den wollüstigen Frauen. Die gefallen mir besonders:
    Die Eingeborenen wissen weder von Tuch noch Leinwand. Wolle oder Flachs gibt es daselbst nicht. Weil sie allesamt nackt gehen, haben sie auch gar keine Kleider nötig. Sie nehmen soviel Weiber als es ihnen beliebt, und ganz ohne Rücksicht auf die Nähe der Verwandtschaft. Ein Sohn scheut sich nicht, seine Mutter zu umarmen und ein Bruder seine Schwester. Und solches tun sie öffentlich, wie das unvernünftige Vieh: nämlich an allen Orten und mit jeder Weibsperson, wenn diese ihnen auch nur von ungefähr

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