Der Kartograph
allerdings schon etwas enttäuscht, dass Ihr sie kein einziges Mal besucht habt, seit Ihr in Straßburg angekommen seid. Wimpfeling war sogar extra hier, obwohl er zurzeit in Heidelberg lebt und lehrt. Habt Ihr seine Nachricht nicht bekommen?»
«Ich hatte zu tun», wandte Martin Waldseemüller lahm ein. Er kämpfte noch immer mit seiner Enttäuschung.
«Nun, das werden wir nachholen. Unser Kreis korrespondiert mit Gelehrten und Humanisten in ganz Europa. Es wäre doch gelacht, wenn die Suche der Mitglieder der ‹sodalitas litteraria› Straßburg nicht irgendwann von Erfolg gekrönt würde. Schließlich ist Wimpfeling der Autor des bedeutendsten – und ersten – Geschichtswerkes in deutscher Sprache. Wir könnten zudem die Söhne von Amerbach bitten, in Paris zu forschen, wenn sie an ihre Universität, die Sorbonne, zurückkehren. In Paris ist ja auch Mundus Novus zum ersten Mal erschienen. Vielleicht sprudelt aus der Quelle, aus der dieses Manuskript stammt, noch mehr. Wir sollten bald einen Brief nach Basel schreiben, am besten auch mit Grüßen an den weiblichen Teil des Haushaltes. Vielleicht überlegt Ihr es Euch ja anders.»
«Da gibt es nichts zu überlegen», knurrte Martin Waldseemüller, in dem aber wieder etwas Hoffnung keimte.
Es kam nicht mehr zu den Besuchen und Gesprächen mit den Männern, die zu dem Kreis der berühmten Straßburger Humanisten und zu Ringmanns Freunden zählten.
Auch der Brief wurde nie geschrieben.
Am übernächsten Tag waren die Männer verschwunden, die das Haus und die Druckerei Grüninger beobachtet hatten. Weitere zwei Nächte später hätte ein Feuer fast alles vernichten können, was Grüningers Existenz ausmachte. Doch glücklicherweise hatte Bartholomäus Grüninger die Flammen entdeckt, als er von einem heimlichen nächtlichen Ausflug zurückkehrte. Die wertvolle Druckerpresse konnte gerettet werden, nur einige der für künftige Holzschnitte sorgsam getrockneten und ausgesucht teuren Hölzer waren angekokelt. Aber das ließ sich noch verschmerzen.
Da waren Brandstifter am Werk gewesen, das wurde schnell klar. Alles deutete darauf hin, dass das Feuer absichtlich am Fuß der Holztreppe gelegt worden war, die zu Waldseemüllers Kammer führte. Das konnte kein Zufall sein. Jemand wollte Waldseemüller töten, ohne Frage. Denn wenn der Plan gelungen wäre, dann hätte es für den Kartographen keinen Ausweg mehr aus der Flammenhölle gegeben. Die Häuser mit den Holzbalken in der Schlauchgasse brannten wie Zunder. Wer immer den Brand auch gelegt hatte, scherte sich nicht darum, dass das Feuer auch auf die angrenzenden Gebäude übergegriffen hätte, dass auch andere Menschen in den Flammen hätten umkommen können. Normalerweise hätte Bartholomäus von seiner Mutter für seinen heimlichen nächtlichen Ausflug eine gehörige Standpauke kassiert. Doch nun hatte er sich als großer Glücksfall erwiesen. Allerdings machte dieser Brandanschlag endgültig allen klar: Waldseemüllers Anwesenheit brachte die Familie Grüninger in akute Gefahr. Niemand in der Runde glaubte nur für einen Moment, dass die Brandstifter ein anderes Ziel gehabt haben könnten, als den Kartographen zu töten.
Und wieder einmal sagte Matthias Ringmann den schon bekannten Satz: «Ihr müsst fort von hier, mein Freund.»
Viele Jahre später dachte Martin Waldseemüller einmal über jene Tage nach. Es schien ihm, als sei dies alles Fügung gewesen, als habe sich eine höhere Macht eingemischt, als sei ihm aus der bösen Absicht, aus den Anschlägen auf seine Habe und auf sein Leben immer wieder Gutes erwachsen.
Sie waren gerade dabei, die Druckwerkstatt vom Löschwasser zu befreien, als wie durch ein Wunder der Mann bei Grüninger auftauchte, der ihn mitnehmen würde. Gauthier Lud, Astronom und Geograph, Kanonikus von Saint-Dié, Verwalter reicher Blei- und Silberminen, Ratgeber und Vertrauter von René II., dem Herzog von Lothringen und Bar, kam nach Straßburg zu seinem guten Bekannten Jean Grüninger, weil er in Saint-Dié eine Druckerei einrichten wollte. Im Schlepptau hatte er Pierre Jacobi, seines Zeichens Priester und Buchbinder. Ihr Anliegen: Unterstützung für den Aufbau der geplanten officina liberaria. Welches das erste Druckwerk sein würde, stand für Gauthier Lud bereits fest: Die komplett überarbeitete Neuauflage der ptolemäischen Geographia, ein Atlas der bekannten Welt auf der Grundlage einer völligen Neuübersetzung der Originale der antiken Handschrift. Und deswegen war es Luds
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