Der Kartograph
begegnet, schreiten dieselben zu fleischlichen Vermischungen.
Ach, und dann kommt meine Lieblingsstelle:
Die Frauen haben eine abscheuliche Gewohnheit, die jeder menschlichen Sitte zuwider ist. Weil sie über alle Maßen wollüstig sind, so haben sie diesen grausamen Gebrauch, dass sie ihren Männern den Saft von einem gewissen Kraut zu trinken geben. Sobald sie diesen zu sich genommen haben, so bläht sich die männliche Rute auf. Wenn dieses nicht helfen will, so setzen sie ihnen giftige Tiere an das Glied, die dasselbe beißen, bis es steif wird. Daher geschieht es, dass viele von ihnen den Verschnittenen ähnlich werden.
Gut, dass sie Menschenfleisch essen sollen, das gefällt mir nicht. Und das mit den giftigen Tieren müsste wohl auch nicht sein. Aber was hier über die Frauen steht – hm. So mancher alte Bock mit einem jungen Weib würde für einen solchen Kräutersaft seinen linken Arm geben. Es klingt nach paradiesischen Zuständen – nachdem Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten.»
«Nicolas, kannst du denn niemals ernst sein?» Gauthier Lud sagte dies in einem ärgerlichen Tonfall. In seinen Augen aber blitzte der Schalk.
«Das klingt nicht nach Paradies. Das ist Gotteslästerung!» Ein weiterer Mann war ins Zimmer gekommen. Jean Basin, Magister der Künste, Pfarrer von Wisembach. Sein Doppelkinn zitterte vor Empörung. Basin hielt sich für einen Berufenen, das hatte Nicolas Lud ihm erzählt. Er machte sich Hoffungen auf die Vikarsstelle an der Kirche Notre Dame in Saint-Dié und auf den Posten eines Hofnotars des Kapitels.
Nicolas, der trotz seiner Jugend hoch gebildete und in Geschäften beschlagene Neffe von Gauthier Lud, und Ilacomylus, der Magister aus Freiburg, hätten unterschiedlicher nicht sein können. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – mochten sie sich. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden. Der jüngere Lud war nämlich nicht nur ein guter Geschäftsmann, sondern ebenso getrieben, ebenso begeistert von den Wissenschaften wie sein Onkel Gauthier, aber sehr viel unkomplizierter. Gauthier Lud war eine Respektsperson. Nicolas Lud schon bald so etwas wie ein Freund, jemand, der Martin Waldseemüller das Gefühl gab, Saint-Dié könnte vielleicht eines Tages eine Heimat für ihn werden, nicht nur ein Ort, an dem er lebte. Zum ersten Mal, seit er aus Freiburg fortgezogen war, empfand er wieder so.
Er freute sich auf den Frühling. Der weite Kessel, durch den die Meurthe floss, die wiederum von den Flüssen Fave und Robach gespeist wurde, hatte eine besondere Atmosphäre, versprach den Duft von Grün, Sonne und Wiesenblumen. Im Osten wurde das Tal von der Kette der Vogesen bewacht. Das Tal von Galilée bildete gleichzeitig die Grenze des Herzogtums Lothringen. Die Ansiedlung Saint-Dié, benannt nach dem heiligen Deodat, genoss auch aufgrund ihrer strategischen Lage die besondere Aufmerksamkeit des Herzogs von Lothringen. Der Ort war seit dem 13. Jahrhundert eine sorgsam befestigte Stadt, um mögliche Eroberungsgelüste gleich von Anfang an zu entmutigen. Aus gutem Grund. Denn von dort aus kontrollierten die Herzöge von Lothringen die «Route d’Alsace», die alte Straße ins Elsass. Die Mitglieder des Kapitels der großen Stiftskirche von Saint-Dié lebten dank der Großzügigkeit des Herzogs nicht schlecht und konnten sich daher ganz ihren Forschungen widmen.
Dem Stift flossen beachtliche Einkünfte zu: aus dem Land, der Köhlerei, von den Mühlen im Tal von Galilée. Auch die Weinreben an den Abhängen der Berge und der Hügel trugen zum guten Leben bei. Eine halbe Tagesreise entfernt lagen die Minen. Sie lieferten Silber und Blei, die für die Prägung der Münzen des Staatsgebildes Lothringen unverzichtbar waren. Den Kanonikern von Saint-Dié ging es vergleichsweise gut. Der Herzog von Lothringen ließ ihnen auch jede gewünschte geistige Freiheit, förderte das Denken und die Forschung, indem er für das leibliche Wohl sorgte. Die Pfründe, die ihnen als Stiftsherren der großen Kathedrale vom Herzog von Lothringen verliehen worden waren, bescherten den Dichtern und Literaten, den Malern, den Gelehrten und den Humanisten, die er in diesen Kreis aufgenommen hatte, ein sorgenfreies Leben im Dienste der Kunst und der Wissenschaft. Zurzeit arbeitete die Gemeinschaft an einem monumentalen Werk, einer wunderbar ausgestalteten Handschrift, dem Chorgraduale, einer Sammlung religiöser Gesänge auf Pergament. Viele der Stiftsherren trugen mit Mitteln aus ihrer
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