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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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werden konnten, sodass sie sich selbst verhöhnten. Mit derselben Note
brachte ich Frau Duft bei einer Gelegenheit zum Weinen und bei einer anderen
zum Lächeln. Wenn ich Lust darauf hatte, hohe, schnelle Läufe und Triller zu
singen, war das in Ordnung. Wenn ich in melancholischer Stimmung war, konnte
ich mit Nicolais Vespergesängen beginnen und sie in die Länge ziehen, bis
beide, Frau Duft und Amalia, glasige Augen hatten, hinter denen sie von einer
vollkommenen Welt träumten.
    Wenn ich leise sang, waren sie still,
abgesehen von Frau Dufts Keuchen. Wenn ich dann lauter wurde, hörte ich meine
höchsten Töne in der Lampe über meinem Kopf, und sobald das Glas zu klingen
begann, unterdrückte ich die Geräusche meines eigenen Mundes und suchte nach
einem etwas anderen Timbre. Es hing alles von dem Lied ab oder vom Wetter oder
von den Launen des kleinen Mädchens. Ihr Klang gesellte sich zu meiner Stimme
wie ein Geigenbogen, der sanft über eine Saite gezogen wird, und ich bemühte
mich, seine Bewegungen zu ermutigen und meinen Gesang an sie anzupassen. Sie
war sich dessen nicht bewusst – sie konnte sich nicht selbst hören, denn meine
Stimme war so viel lauter als das schwache Klingen ihres Körpers. Sie spürte es
nur als Wärme. Sie umschlang ihren Körper mit den Armen, wenn meine Stimme
erklang. Sie lernte mit mir, trainierte jede Faser – von den runden Wangen bis
zu den Fußgewölben –, um die verschiedenen Stimmlagen meines Gesangs zu hören.
Und an seltenen Tagen, wenn Frau Duft sehr lebendig war, hörte ich auch in der
Mutter ein fernes Echo der Tochter.

XV.
    Ulrich war wütend. Hätte er
selbst krank im Bett gelegen, wäre Bachs ketzerische Musik, gesungen von mir,
natürlich die Medizin seiner Wahl gewesen, aber das hielt ihn nicht davon ab zu
protestieren, als Staudach das nächste Mal bei unserer Probe auftauchte. »Abt«,
flüsterte Ulrich, damit die Jungen es nicht hörten, »er ist von entscheidender
Bedeutung für den Chor. Ich habe die Stücke für seine
Stimme ausgewählt. Ich kann nicht ohne ihn
auskommen, nicht einmal für einen Nachmittag.«
    »Es ist für die Kirche«, sagte der
Abt. »Für die Kirche.« Er drehte an dem Rubinring an seinem Finger.
    »Dann schickt einen anderen Jungen,
Abt. Irgendeinen. Nur nicht ihn.«
    »Was haben nur alle mit diesem Jungen? « presste der
Abt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er krümmte die Finger, als wolle
er mich mit seinen Klauen packen. »Duft wollte keinen anderen. Natürlich habe
ich versucht, einen richtigen Mann zu schicken. Und jetzt sagt Ihr, dass Ihr nicht ohne ihn auskommt.
Warum könnt Ihr nicht die anderen Jungen lehren, so zu singen wie er?«
    Mit offenem Mund schüttelte Ulrich den
Kopf; er wusste nicht, was er sagen sollte. »Abt«, murmelte er schließlich, ein
kindliches Bitten im Gesicht, »bitte überdenkt es noch einmal.«
    »Für die Kirche«, sagte der Abt
ausdruckslos. »Wir müssen in erster Linie an sie denken.«
    Wie hätten wir nicht in erster
Linie an sie denken können? Die vollkommene Symmetrie ihrer Doppeltürme
beherrschte den Abteiplatz. An sonnigen Tagen bedeckte ich meine Augen, so
grell leuchtete der weiße Stein. »Eine halbe Million Gulden«, zischte Remus
eines Abends Nicolai zu. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viel das ist?«
    »So ist das eben, wenn man eine
achthundert Jahre alte Kirche zerstört, um eine neue, vollkommene zu bauen«,
erwiderte Nicolai und trank einen Schluck Wein. Wie er so mit erhobenen
Ellenbogen auf seinem Sessel thronte, war er für einen Augenblick so vornehm
wie ein Prinz. »Da würdest du auch so viel ausgeben und mehr. Staudach lässt
diese Steinmetze vermutlich für nicht mehr als ihr Seelenheil arbeiten. Einem
Halunken wie dir würden sie das Doppelte abverlangen.«
    »Die Frage ist nicht, wie ich es
machen würde«, sagte Remus. »Du hast mir nicht zugehört. Keiner der Mönche hört
mir zu.«
    »Ich frage mich, warum?« Nicolai
blinzelte mir zu. Ich unterdrückte ein Kichern.
    »Jeder einzelne Gulden stammt aus der
Tasche eines Bauern oder Webers«, fuhr Remus fort. »Einige von ihnen haben
nichts mehr zu essen, nachdem sie ihre Steuern bezahlt haben. Was gibt er ihnen
als Gegenleistung?«
    Nicolai brauchte nur einen Augenblick
nachzudenken. »Schönheit«, sagte er mit einem Nicken, als wäre das eine
Antwort, die nicht zu widerlegen war.
    »Schönheit?«, fragte Remus. Er sah
mich an. »Schönheit?«
    Wir wandten uns beide wieder Nicolai
zu. Ich hatte

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