Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
singen, Moses?«
Meine Stimme gehört mir!, hätte ich geschrien, wäre ich nicht so verängstigt
gewesen. Mir allein! Er war jetzt nur noch einen Schritt entfernt. Ich hatte Angst, dass Ulrich
mich an ihn übergeben würde.
Aber Ulrich ließ mich nicht los. Er
hielt mich nur noch fester. Rapucci hob den Kelch. Mit der anderen Hand kniff
er mir ins Kinn.
»Mach den Mund auf, Moses. Trink etwas
Wein.«
Seine Finger waren so kalt. Ich
schüttelte den Kopf, und er ließ mich in Ruhe.
Er fluchte.
Ulrich flüsterte, dass ich trinken
sollte, dass der Wein mich schläfrig machen würde. Mit aller Kraft, die ich
hatte, wand ich mich in seinen Armen.
»Dann legt ihn auf den Fußboden«,
sagte Rapucci. Ich trat um mich und kämpfte, bis sich Ulrich rittlings auf mich
setzte und meine Arme auf dem Boden festhielt. Doktor Rapucci kniete neben uns.
»Mach den Mund auf«, befahl er scharf.
Als ich mich wieder weigerte, meinen
Kopf von einer Seite auf die andere warf und die Kiefer fest zusammenpresste,
fluchte er noch einmal. Er bearbeitete meinen Kiefer mit seinen geäderten
Fingern, bis sich eine Lücke öffnete, in die er den Wein goss. Ich würgte. Der
Wein floss über und rann an meinem Hals hinunter. Er drückte meinen Mund
zusammen und kniff mir in den Hals, bis ich schluckte.
»Das sollte genügen«, sagte er zu
Ulrich. Die Männer ließen mich los. Ich hustete und spuckte.
Aber Rapucci hatte sich verrechnet.
Ein Großteil des mit Laudanum versetzten Weins war aus meinem Mund geflossen
und bildete eine kleine Lache auf dem Boden. Obwohl mein Bewusstsein sich bald
zu trüben begann und ich alle Entschlossenheit verlor, mich ihnen zu
widersetzen, schlief ich nicht. Ich kann mich an alles erinnern, was dann
folgte, an jede Berührung und jedes Geräusch, als wäre es ein Stück, das ich
tausendmal gespielt habe.
Sie ziehen mir die Kleider aus und
für einen Augenblick fühle ich die Kälte des Steinbodens an meiner nackten
Haut. Die Decke des Raumes zieht meinen Blick magisch an. Meine Furcht ist
vorbei: Das Muster der Deckenbalken verheißt Glückseligkeit. Ich sollte mich
bedecken, aber meine Kleider sind nicht mehr da und ich bin zu müde, um sie zu
suchen.
Ich werde aufgehoben und in eine Wanne
mit warmem Wasser gesetzt. Ich liege bis zum Nabel im Wasser. Ich schließe die
Augen und genieße die Wärme. Es scheint, als sei die Wanne so groß wie ein
warmer Ozean. Die harte, hölzerne Kante ist ein weiches Kissen, das meinen Kopf
hält.
Stimmen sprechen von Minuten.
Von Messern.
Von Nadeln.
Ich glaube, ich schlafe ein.
Wie ein Baby werde ich herausgehoben,
sanft abgetrocknet und mit dem Gesicht nach unten auf das Cembalo gelegt. Mein
Kopf ist zu den Tasten gedreht. Wenn die Männer sprechen, hallen die Saiten mit
ihren Stimmen wider. Ich möchte auch singen, aber es ist unmöglich. Die
Anstrengung wäre jetzt zu groß. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es mir
jemals im Leben gelungen ist, den Mund zu öffnen und einen Laut auszustoßen.
Jedes Mal, wenn ich auf dem weichen
Laken fast einschlafe, weckt mich die Berührung einer kalten Hand. Mir kommt
der Gedanke, dass diese Männer, auch wenn einer von ihnen Ulrich ist, mich
nicht berühren sollten. Nicht auf diese Weise. Dies ist nicht die Berührung,
die ich inzwischen so gut kenne – Ulrichs Hände, die meine Stimme antreiben.
Ich denke: Ruf
nach Nicolai . Ich denke: Nicolai wird ihnen sagen, dass sie ihre Hände von mir lassen
sollen . Aber er ist nicht da. Die kalten
Hände heben mich hoch und legen Handtücher unter meine Hüften, sodass mein
nacktes Hinterteil in die Luft ragt. Sie spreizen meine Beine, bis ich glaube,
dass ich in zwei Teile gerissen werde. Sie tun mir weh, aber ich kann die Worte
nicht bilden. Ich stöhne. Sie binden mir die Fußgelenke fest, sodass ich die
Beine nicht schließen kann. Ich fühle, dass sie mich da berühren, wo selbst
Ulrich mich noch nie zu berühren gewagt hat.
Meine Hände sind noch frei, und ich
balle sie zu Fäusten. Ich beginne zu weinen.
Mir wird übel.
In der Luft liegt ein Geruch wie etwas
sehr … Kaltes? Saures? Ich kann ihn nicht einordnen. Etwas Kaltes und Nasses
streift über meine Schenkel, ist zwischen meinen Beinen. Es knetet meine Hoden
und verursacht mir Übelkeit. Ich will dort nicht berührt werden! Die Saiten des
Cembalos klingen unter mir, aber es gibt keine Logik in ihren Klängen. Ich brauche meine Stimme, möchte ich gerne sagen. Nehmt sie mir nicht weg. Sie
ist das Einzige, was mich
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