Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
rein macht. Aber
nur ein »Nein, nei-ein« kommt aus mir heraus wie eine traurige Klage.
Eine Hand tätschelt meinen Kopf.
Ulrichs Stimme in meinem Ohr: »Alles in Ordnung, Moses. Schlaf weiter.«
Schlaf! Ja, ich möchte schlafen, aber
die Hand berührt mich wieder! Ulrich! Ich versuche zu schreien. Nimm
mir nicht meine Stimme weg! Aber es
gelingt mir nur, seinen Namen zu sagen, der Rest ist Stöhnen.
»Hab keine Angst«, sagt er. »Ich bin
hier.«
Mir ist übel und ich fühle mich so
schwer. Ich kann mich nicht bewegen, aber ich muss, sonst ist meine Stimme
fort.
»Haltet ihn fest!«, schreit Rapucci.
»Legt Euch auf ihn!«
Ich kann nicht aufstehen. Jemand
drückt mich mit seinem ganzen Gewicht nach unten. Meine Brust wird eingeklemmt.
Ich kann nicht atmen.
»Haltet ihn fest! Er darf sich nicht
bewegen.«
Ich spüre einen plötzlichen heftigen
Schmerz zwischen den Beinen. Ich stöhne und winde mich und weine, und das
Cembalo weint mit mir.
»Ihr müsst ihn festhalten!«
Ich schreie.
»Um Gottes willen, Rapucci, was tut …«
»Haltet ihn!«
Etwas ist in mir. Eine Hand. Sie
stochert und sucht nach meiner Stimme! Ich würge Wein und kleine Lammstücke
heraus. Ulrichs Finger streicheln meine Wange. Er erdrückt mich. Obwohl ich
kämpfe, kann ich mich nicht bewegen.
»Jetzt muss er still liegen oder es
bringt ihn um!«, ruft Rapucci, und die tiefen Saiten des Cembalos summen.
In mir ist ein Reißen und der Schmerz
sticht so heftig zu, dass ich ihn in meinen Zehen fühle.
Es gibt keine Luft zum Atmen mehr.
»Ich konnte nicht anders«, flüstert Ulrich so leise, dass es gewiss nicht
einmal Rapucci hören kann. »Deine Stimme«, murmelt er. »Deine Stimme.« Zwischen
meinen Beinen ist ein Stechen und Reißen, aber plötzlich scheint alles ganz
weit weg zu sein. Ich bin so müde. Ich schlafe ein, und während Rapucci ächzt
und Ulrich leise weint, ist mein letzter Gedanke, dass ich mir eines Tages
zurückholen werde, was diese grässlichen Männer mir genommen haben.
ZWEITER AKT
I.
Ich erwachte in meinem Bett.
Die ganze Abtei war erschöpft und vollkommen still. Nur der Brunnen plätscherte
im Kreuzgang.
War es nur ein Traum gewesen?
Ich drehte mich unter meinem Laken um
und spürte ein Reißen zwischen den Beinen, als hätten sich feste Haken in meine
Eingeweide gebohrt. Mein Blick verschwamm in Tränen. Ich lag ganz still, bis
der Schmerz nachließ, und dann zog ich die Decke zurück. Ich war immer noch
nackt. Mein kindlicher Penis zeigte nach oben. Er war violett, und meine Hoden
waren scharlachrot und doppelt so groß wie sonst. Über die Innenseite meiner
Oberschenkel verliefen rote und blaue Streifen. Aber ich konnte nicht
feststellen, dass etwas fehlte. Alles da.
Vorsichtig streckte ich den Finger aus
und berührte meinen rechten Hoden. Die Haut war empfindlich, aber der Rest
fühlte sich taub an.
»Wir müssen deine Stimme erhalten, wie sie ist«, hatte Ulrich gesagt. Ich stellte mir vor, wie ich in
einem von Dufts Glasgefäßen saß und sang, aber niemand mich hörte.
Es klopfte an meiner Tür. Ich bedeckte
meinen nackten Körper.
Nicolai wartete nicht auf eine
Antwort. Er nahm den halben Platz in meiner Dachkammer ein.
»Wir sollten jede Woche eine neue
Kirche bauen«, sagte er. Seine Augen waren blutunterlaufen und er sah fünf
Jahre älter aus. »Gott segne Staubdreck und seine Einweihungsfeiern.« Er
grinste, aber sein Lächeln versiegte. »Was ist los? Bist du krank?«
Ich nickte.
Nicolai stand über mir. Er runzelte
die Stirn und beugte sich nach unten, um mein Gesicht zu betrachten. »Oh,
Moses. Du siehst ja schlimmer aus als der Mönch aus Einsiedeln, der im Brunnen
geschlafen hat. Brauchst du etwas zu essen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ist etwas passiert?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte
Nicolai alles erzählen, aber heute bin ich dankbar, dass ich nicht die
richtigen Worte fand.
Er stand auf. »Gut. Du musst dich
ausruhen, und ich komme später wieder«, sagte er. »Und bringe dir ein saftiges
Stück Fleisch.«
Als ich sein Lächeln nicht erwiderte,
warf er mir einen letzten misstrauischen Blick zu und ging. Sobald die Tür
geschlossen war, wälzte ich mich herum, sodass meine Füße über den Bettrand
baumelten. Mit jeder Bewegung gruben sich die Haken noch tiefer in meinen Schoß
und mir stockte der Atem. Ich stand auf, gekrümmt wie ein alter Mann. Über
meine Wangen liefen Tränen. Ich schlurfte zur Tür und schloss sie ab, etwas,
was ich noch nie getan hatte.
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