Der Katalysator
ohnehin nicht in seiner Hand.
Kurz vor Mitternacht fuhr Paul die Einfahrt zu seinem Apartmenthaus hinauf. Er stieg aus, ließ die Tür des Electric leise zuklappen und schaute zum Himmel. Es war kalt, feucht und finster. Er war überrascht, daß er überhaupt einen Stern sehen konnte. Aber da war der Cygnus; majestätisch schwebte er am Himmel. Er nahm seine Aktentasche vom Rücksitz. Sie war dick und schwer von Seranes alten Notizbüchern und Billys neuer Urne – der Katalysekammer. Er trug alles ins Haus.
Was hatte er getan? Was hatte er gesehen und gehört? Wieviel davon war Wirklichkeit gewesen? Seine Gedanken kreisten um harmlose, unbedeutende Dinge, damit er nicht darüber nachdenken mußte.
Aber die Hauptsache ließ sich nicht abschütteln.
Er hatte die Überreste seines Bruders vernichtet. Und wozu? Billy hatte es nicht verlangt. Serane auch nicht. Niemand hatte ihn darum gebeten.
Ich glaube, ich werde verrückt, dachte er.
Eine Idee versuchte in seinem Kopf Gestalt anzunehmen. Er setzte sich in seinen Sessel und öffnete die Aktentasche. Seranes letztes Laborbuch war darin, das mit den Aufzeichnungen des Abends. Das Buch klappte in der Mitte auf. Er las einige der Eintragungen durch. Nichts Besonderes. Seranes Notizen über seine Arbeit an Isocyanat. Ein paar Ideen. Warum hatte er sie hier notiert? Serane sollte sich etwas für Pittsburgh aufbewahren. Aber wahrscheinlich würde es darauf nicht ankommen. Serane würde überall vor Ideen sprudeln. Mehr als jedes Labor verkraften konnte. Diese letzten Seiten waren eher ein Abschiedsgruß an Ashkettles, für jeden, der etwas damit anfangen konnte. Die Handschrift, die früher so vibrierend nach vorn geneigt gewesen war, erschien jetzt gestelzt und senkrecht, als sei das Schreiben auf diesen letzten Seiten schwierig gewesen, als habe sich jeder Buchstabe in einem ungleichen Kampf gegen einen übermächtigen Angreifer erschöpft. Und da erinnerte er sich. Er wußte, weshalb Seranes Handschrift ihm vertraut erschienen war, als er sie das erste Mal zu Gesicht bekam. Dieses mühsame Gekritzel rief es ihm ins Gedächtnis zurück. Billy hatte genauso zerrissen geschrieben, als das Ende nahte. Paul wußte jetzt auch, warum er Seranes Handschrift lesen konnte: Sie war fast identisch mit Billys Schrift. Er wußte es, ohne daß er einen direkten Vergleich anzustellen brauchte. Dazu kamen die Bücher selbst. Die Laborbücher hatten das gleiche Format wie die Tagebücher. Und es waren jeweils zehn Stück. Aber das war nicht alles. Eine letzte Vorahnung begann sich zu kristallisieren. Er schlug den letzten Eintrag auf.
Laß es nicht so sein … Aber es würde so sein. Die Worte würden die gleichen sein. Und sie waren es, denn William Jennings Bryan Blandford hatte ebenfalls geschrieben: Dies wird mein letzter Eintrag sein.
Der einzige Unterschied war, daß in Billys Tagebuch hierauf nichts mehr folgte.
Zu seinem maßlosen Erstaunen entdeckte Paul, daß er am ganzen Leibe zitterte und angstvolle Tierlaute von sich gab. Er versuchte sich zu beherrschen, doch es gelang ihm nicht. Er packte ein Sofakissen und vergrub sein Gesicht darin.
17
Der Patentantrag
Als er erwachte, fühlte er sich benommen, aber zugleich erfüllte ihn ein drängendes Bewußtsein von verlorener Zeit. Mit schmerzenden Beinen versuchte er in eine halbwegs sitzende Position zu gelangen. Wie lange hatte er geschlafen? Ganz sicher sehr lange. Im Halbdunkel spähte er auf seine Armbanduhr: 1:05. Und was hieß das? Seine Gedanken spielten für einen Moment mit dem Problem. War es Samstagmorgen, ein Uhr? (Um es ganz sicher zu wissen, brauchte er nur auf einen Knopf an der Seite der Uhr zu
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