Der Kater der Braut: Roman (German Edition)
komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Technisch gesehen ein Rückschritt, emotional aber ein Riesenschritt nach vorne. Allerdings wäre mir auf diese Art um ein Haar der Anruf meiner Eltern durch die Lappen gegangen, die einen Besuch »androhten«, wie meine Schwester es nannte. Zum Glück hatten sie Lili schließlich auf ihrem Handy erreicht, sonst wären sie unter Garantie einfach unangekündigt aufgetaucht. Besser wir machten uns schon mal darauf gefasst, dass meine Eltern von nun an häufiger zur Visite bei uns aufkreuzen würden.
Ich war gerade dabei, den Kaffeetisch zu decken, als Lili in kurzen Jeans und einem knappen Sommertop in die Küche geschlendert kam. Die Haare, die vom Duschen noch feucht waren, hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der bei jedem Schritt neckisch auf und ab wippte.
Während ich die Servietten zu kleinen Schiffchen faltete, warf ich einen raschen Blick auf die Uhr. »Beeil dich: Mama und Papa können jeden Moment hier sein. Du musst dich noch umziehen.«
Lili sah überrascht an sich herunter. »Aber ich hab mich gerade erst umgezogen.«
»Na und?! Dann ziehst du dich eben noch mal um. Ich leih dir sogar ausnahmsweise mal meinen anthrazitfarbenen Rollkragenpullover«, bot ich, die Großzügigkeit in Person, an.
»Ein Rolli?! Bei dir tickt es doch wohl nicht richtig! Die Sonne knallt vom Himmel. Es sind mindestens fünfundzwanzig Grad! In dem Pullover werde ich elendig krepieren.«
Ungerührt zuckte ich die Schultern. »Na und, besser du als ich. Wenn Mama und Papa deine Tätowierung sehen, werden sie nämlich nicht dich, sondern mich umbringen.«
»Würde es ein T-Shirt ohne Ausschnitt nicht auch tun?«
»Nein!« Wenn so wertvolle Dinge wie mein Leben auf dem Spiel standen, ging ich lieber auf Nummer sicher.
Mit grimmiger Miene stapfte Lili aus der Küche und kehrte kurz darauf in meinem Rollkragenpullover zurück.
»Jetzt mach nicht so ein Gesicht.«
»Tut mir leid, ich hab kein anderes.« Sie fächerte sich mit einer Zeitschrift Luft zu. »Mir ist heiß. Und damit eins klar ist: Wenn ich einen Hitzschlag bekomme, bist du schuld.«
»So schnell kriegt man keinen Hitzschlag. Und nun hör endlich auf zu meckern. Sei lieber froh, dass du kein Piercing in der Nase hast. Sonst müsstest du jetzt nämlich mit einer Papiertüte über dem Kopf herumlaufen.«
Noch besser als eine Papiertüte wäre jedoch ein Knebel gewesen, der sie am Sprechen gehindert hätte.
»Passt du auch gut auf die Kleine auf?«, begann meine Mutter das Kreuzverhör, als wir uns wenig später am Kaffeetisch gegenübersaßen.
Lili zog eine Grimasse. »Fragt sich, wer hier auf wen aufpassen muss.«
»Wieso? Stimmt was nicht?« Meine Mutter horchte alarmiert auf.
»Doch, doch, alles bestens«, versicherte ich, trat einmal kurz warnend vor Lilis Schienbein und lenkte das Gespräch dann schnell in eine andere Richtung. »Ich bekomme Lili kaum noch zu Gesicht. Sie ist fast nur noch an der Uni.« Dass sie sich dort die meiste Zeit in der Cafeteria und nicht im Hörsaal herumtrieb, musste ich meinen Eltern ja nicht unbedingt auf die Nase binden.
Nachdem wir eine Weile über Lilis Studium und meine Arbeit bei NOMEN gequatscht hatten, räusperte sich meine Mutter. »Kinder, wir haben euch auch etwas mitzuteilen. Es gibt schlechte Neuigkeiten.«
Meine Schwester und ich tauschten besorgte Blicke aus.
»Nun sagt schon! Was ist los? Geht’s euch nicht gut?« Allein bei dem Gedanken, dass einer der beiden krank sein könnte, schnürte es mir die Kehle zu.
»Jetzt beruhigt euch. Mit Papa und mir ist alles in Ordnung. Es geht um Tante Elfie und Onkel Günter – sie wollen sich scheiden lassen.«
»Puh!« Lili ließ geräuschvoll die angehaltene Luft entweichen. »Na, wenn’s weiter nichts ist.« Sie angelte sich noch ein Stück Apfelkuchen von der Platte. »Ich dachte schon, es sei was Schlimmes.«
»Aber eine Scheidung ist etwas Schlimmes!« Tante Elfie war meine Patentante, und die Nachricht, dass sie und Onkel Günter sich trennen wollten, war ein echter Schock für mich. Wie eine Seuche griff die Scheidungsepidemie immer weiter um sich. Nun gab es sogar schon unter den Dorfbewohnern erste Opfer zu beklagen. O Mann, da konnte einem wirklich himmelangst werden!
»Irgendwie haben die beiden sich wohl auseinandergelebt«, erklärte meine Mutter.
»Wie habt ihr es denn so lange miteinander ausgehalten?«, nuschelte Lili mit vollem Mund. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, meinen Eltern so
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