Der katholische Bulle: Roman (German Edition)
Beschwerden. Ein Kind übergab sich in eine Tüte. Ein Teenager, der nach Benzin stank, hielt sich die verbrannte Hand. Ein Mann, dessen Gesicht mit geronnenem Blut bedeckt war, trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »No Pope Here«. Angesichts seines gegenwärtigen Zustands konnte der Papst darüber froh sein. Abgesehen davon lagen immerhin keine jungen Männer mit weggeschossenen Kniescheiben auf Tragen herum, was einem in den größeren Krankenhäusern in Belfast häufiger begegnete.
Ich ging zur Anmeldung. Die Krankenschwester hinter dem Tresen eiferte Hattie Jacques aus den Ist ja irre -Filmen nach. Sie war zappelig, gruselig, riesig.
»Und was ist mit Ihnen?«, wollte sie in diesem altmodischen englischen Adelsakzent wissen.
»Ich möchte bitte zu Dr. Cathcart«, antwortete ich mit einem, wie ich hoffte, gewinnenden Lächeln.
»Sie hat heute keinen Dienst.«
»Nicht? Oh. Wo ist sie denn?«
»Sie nimmt gerade eine Autopsie vor, falls Sie das überhaupt was angeht.«
»Deshalb möchte ich sie ja sprechen«, erklärte ich und zückte meinen Dienstausweis.
»Sie sind Sergeant Duffy? Sie versucht Sie schon seit einer Stunde zu erreichen.«
»Ich war beschäftigt.«
»Das sind wir alle.«
Sie zeigte mir den Weg zur Leichenhalle, einen schwach beleuchteten, schwarz und weiß gekachelten Flur entlang, der seit den Dreißigern unverändert geblieben zu sein schien. Von der Decke tropfte Wasser in einen großen roten Eimer mit der Aufschrift »Luftschutzinventar«.
Ich blieb vor einer Tür stehen, auf der stand: »Autopsie. Eintritt nur mit Erlaubnis der Leitenden Krankenschwester.«
Ich klopfte an.
»Wer ist da?«, kam es von drinnen.
»Sergeant Duffy, Carrick Police.«
»Wird aber auch Zeit!«
Ich drückte die Tür auf und ging hinein.
Ein antiseptischer, eiskalter kleiner Raum. Der Boden ebenfalls schwarzweiß gekachelt, Milchglas in den Fenstern, eine summende Neonröhre, uralte Wandkarten klärten auf über »Krankenhaushygiene« und die »richtige Beseitigung von Leichenteilen«.
Dr. Cathcart trug einen Mundschutz und ein weißes baumwollenes Chirurgenkäppi. An ihrem Hals baumelte ein kleines Keltenkreuz über ihrem Arztkittel.
Star der Show war John Doe von letzter Nacht, den Dr. Cathcart aufgeschnitten und ausgebreitet hatte wie einen Frosch auf Eisenbahngleisen. Teile von ihm lagen in diversen Edelstahlbehältnissen, auf Waagen oder schlummerten gar in Einmachgläsern. Der Rest von dem Burschen lag nackt und unbedeckt auf dem Tisch und kümmerte sich nicht weiter um all diese Körperverletzungen.
»Hallo«, sagte ich.
»Ziehen Sie Handschuhe an und setzen Sie einen Mundschutz auf, bitte.«
»Ich glaube nicht, dass er sich noch bei uns ansteckt.«
»Vielleicht stecken wir uns bei ihm an.«
»Okay.«
Ich zog Latexhandschuhe an und setzte einen Mundschutz auf.
Dr. Cathcart hielt die abgetrennte Hand hoch. »Sind Sie dafür verantwortlich, dass von dieser Hand Fingerabdrücke genommen wurden?«, fragte sie. Sie hatte blaue Augen, und ich konnte ein paar schwarze Haare unter dem Käppi hervorblitzen sehen.
»Das hat einer meiner Beamten gemacht, aber ich trage dafür die volle Verantwortung. Haben wir was falsch gemacht?«
»Ja, haben Sie. Ihr Mann hat die Finger mit Terpentinersatz abgewischt, bevor er Fingerabdrücke genommen hat. Aus diesem Grund haben wir alle Spuren verloren, die vielleicht unter den Fingernägeln des Opfers gesteckt haben.«
»O Mann, tut mir leid.«
»Davon kann ich mir auch nichts kaufen, oder?«, polterte sie, und ich bemerkte eine Art hochnäsigem »South Belfast«- Akzent.
Ihr Ton gefiel mir überhaupt nicht. »Meine Liebe, in einer Morduntersuchung haben Fingerabdrücke höchste Priorität, um festzustellen, wer das Opfer ist, um hoffentlich herauszufinden, was es zuletzt getan hat, und um Zeugen befragen zu können, solange ihre Erinnerungen noch frisch sind.«
Sie zog den Mundschutz herunter. Sie hatte rosige Wangen, und ihre Lippen waren kamelienrot. Ihre Augen waren lebhaft blau, ihr Blick eisig und verstörend. Sie war herrisch und attraktiv, und wahrscheinlich wusste sie das.
»Ich ziehe ›Dr. Cathcart‹ vor, nicht ›meine Liebe‹, falls es Ihnen nichts ausmacht, Sergeant.«
Jetzt kam ich mir erst recht wie ein Volltrottel vor.
»Tut mir leid, Dr. Cathcart … Hören Sie, wir haben uns irgendwie auf dem falschen Fuß erwischt, ich meine, ähm, nur weil wir Polizisten sind, sind wir noch lange keine Idioten.«
»Das bleibt abzuwarten. Diese
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