Der katholische Bulle: Roman (German Edition)
wollte ich wissen.
»Interessante Frage. Ich habe ein paar Artikel darüber gelesen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, aber in ein paar Jahren werden die vielleicht in der Lage sein, die DNA zu sequenzieren oder so etwas. Ich habe eine Probe eingefroren, nur für den Fall.«
Ich nickte. Dr Cathcart war gut.
Wir tranken unseren Tee.
»Wo sind die Noten?«, fragte sie. »Ich dachte, wir könnten das gemeinsam austüfteln.«
»Die habe ich McCrabban mitgegeben. Es handelt sich um eine Oper aus dem 19. Jahrhundert. Italienisch. Ansonsten habe ich noch keine Idee. Er lässt sie fotokopieren – es sei denn, er ist schreiend zum obersten Hexenjäger gerannt. McCrabban ist ein guter Kerl, aber er stammt aus Ballymena. Das da oben ist eine ganz andere Welt.«
»Und Sie sind nicht von dort?«
»Geographisch gesprochen haut’s ungefähr hin. Geistig nicht.«
Wir sahen uns an.
»Was macht denn eine so nette Frau wie Sie an so einem Ort wie diesem?«
»Wie kommen Sie darauf, dass ich nett bin?«
»Der Akzent, die Tatsache, dass Sie Ärztin sind …«
»Und wo stammt Ihr Akzent her?«
»Cushendun.«
»Cushendun? Ach, das ist doch ganz da oben, nicht wahr? Und auf welcher Schule waren Sie?«
»Unsere Heilige Jungfrau, Stern der Meere.«
Und schwups hatte sie heraus, dass ich Katholik war. Dass sie Katholikin war, hatte ich gleich von Anfang an gewusst: das Kreuz um ihren Hals.
Sie trank einen Schluck Tee und warf noch einen dekadenten Würfel Zucker hinein.
»Nein, ernsthaft, in Übersee könnten Sie ein Vermögen verdienen«, meinte ich.
»Muss es denn immer um Geld gehen?«
»Worum denn sonst?«
Sie nickte und band sich die Haare nach hinten. »Meine Eltern leben hier, und meinem Dad geht es nicht besonders gut.«
»Tut mir leid, das zu hören.«
»Sein Herz. Nichts Schlimmes. Bisher jedenfalls nicht. Und meine beiden kleinen Schwestern leben auch noch hier. Was ist mit Ihnen? Brüder? Schwestern?«
»Einzelkind. Meine Eltern leben noch in Cushendun.«
»Einzelkind?«, fragte sie ungläubig. Sie dachte wohl, dass alle Katholiken auf dem Lande ein Dutzend Kinder hatten. Die einzig mögliche Erklärung war, dass meiner Mutter etwas Schreckliches zugestoßen sein musste. Sie sah mich entzückend mitleidig an.
»Und auf welcher Uni waren Sie? Queen’s?«, fragte ich.
»Nein, ich war an der Uni in Edinburgh.«
»Und Sie sind zurückgekommen?«
»Ja.«
Sie fragte mich nicht nach meiner Unikarriere, weil Polizisten sich mit so etwas normalerweise nicht abgaben. Sie wirkte nun entspannter und lächelte richtiggehend bezaubernd.
So langsam gefiel sie mir.
»Und wie reimen Sie sich jetzt das alles zusammen, was ich Ihnen berichtet habe?«, wollte sie wissen.
Ich schüttelte den Kopf. »Es handelt sich wohl um eine ziemlich komplexe Geschichte, die als simple Exekution eines Informanten getarnt werden sollte.«
»Schlecht getarnt.«
»Vielleicht dachte der Täter, wir würden das Papier im Rektum niemals finden.«
»Nein, es schaute heraus. Es war ziemlich offensichtlich. Deshalb habe ich ja auch nach Spuren einer Vergewaltigung gesucht.«
»Also plakatiert der Täter alles. Er geht davon aus, dass wir faul und inkompetent sind und er jeden Hinweis unterstreichen muss. Er legt die Leiche dort ab, wo sie recht schnell gefunden werden kann. Er ist dreist, ein wenig zu selbstsicher, und verachtet uns. Ich gehe davon aus, dass er in den letzten Jahren mit der Polizei zu tun hatte, wenn das seine Haltung ist.«
»Ist denn die RUC nicht für ihre Kompetenz berühmt?«, fragte sie mit leicht sarkastischem Unterton.
»Ach, es gibt schlechtere Polizeieinheiten, aber wir sind auch nicht gerade Scotland Yard, oder?«
»Das müssen Sie wissen.«
»Wann haben Sie das letzte Mal in Ihrer Dienstzeit ein männliches Vergewaltigungsopfer gesehen?«, fragte ich.
»Noch nie.«
»Gehört wohl nicht zur üblichen Vorgehensweise der Paras, oder?«
»Nicht meiner bescheidenen Erfahrung nach.«
»Beide Seiten sind äußerst konservativ. Und die übliche Vorgehensweise bei Informanten ist auf beiden Seiten praktisch identisch.«
»Ach, wirklich?«, meinte sie und runzelte interessiert die Stirn.
»Es gibt tatsächlich keinen Unterschied zwischen dem durchschnittlichen IRA-Mann und einem von der UVF. Die Eckpfeiler sind immer dieselben: Arbeiterklasse, arm, Vater meist Alkoholiker oder gar nicht vorhanden. Findet man immer wieder. Identische psychosoziale Profile, bis auf die Tatsache, dass der eine sich als
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