Der Katzenelf (German Edition)
unwirklicher Reiz liegt momentan über dieser Stadt. Sie ist voller Anmut und Würde und versprüht den unwiderstehlichen Hauch von großer Geschichte! Jetzt empfinde ich Venedigs Schönheit so stark, dass mein Herz schmerzt!“
Und während ihre Blicke weiterhin verlangend den Booten folgten, sinnierte sie: „Warum bin ich nicht zuhause geblieben? Warum habe ich nicht Benedikts Geschäftsreise als Chance genützt um mich endlich von ihm zu befreien, ihn zu verlassen und aus seinem Leben endgültig zu verschwinden? Gehöre ich wirklich zu den Menschen, die sich gerne quälen lassen? Und nun liegt diese Stadt in ihrer stolzen Pracht vor mir und lockt mich mit ihrer geheimnisvollen Vergangenheit. Diesen Ort sollte man nur mit jemandem den man liebt, erforschen! Sich in den alten Gassen und Winkeln umarmen, auf den reizvollen Brücken küssen und von einer gemeinsamen Zukunft träumen!
Doch das ist mit Benno gar nicht möglich! Ich verstehe mich selber nicht, warum fällt mir der Abschied von diesem Mann nur so schwer? Kann es sein, dass das bisschen Luxus, dass er mir bietet, mich schon so verdorben hat, dass ich davon nicht Abschied nehmen kann? Oder empfinde ich nur dieses kleinmütige Gefühl, diese Art Trauer, weil ich bei meinem Abgang auch meine verlorenen Träume in seiner Wohnung zurück lassen muss?
Ja, wir hatten zusammen Träume, Wünsche und Zukunftsfantasien. Doch die bleiben nun in Bennos Luxusabsteige zurück. Aber sind sie nicht schon seit vielen Monaten abgebröckelt und im Nichts versunken, genauso wie hier die alten Mauern dieser wunderschönen Paläste langsam aber unaufhaltsam vom Meer zurückgeholt werden? Unsere gemeinsame Zeit ist wohl einfach vorbei! Denn wäre ich jetzt alleine zuhause geblieben, wäre ich bereits ausgeflogen. Und wenn Benno dann von seiner Venedig Reise wiederkäme, dann hätten vollendete Tatsachen mir endlose Wortgefechte, kleinliche Aufrechnungen und viel gegenseitige Aufregung erspart! Ich muss endlich fort von diesem viel älteren Mann, am besten heute Abend noch! Weg aus dieser zerstörerischen Beziehung, fort aus dieser servilen Abhängigkeit! Ich bin selber schuld an dieser ganzen Misere, ich passe nicht zu dem konservativen Mann, von dem mich mehr als zwanzig Jahre trennen! Er versucht dauernd, mich nach seinen Vorstellungen zu formen und mich zu verändern, bald erkenne ich mich selber nicht mehr!
Ich will und muss mich selber wieder spüren, ich möchte auch wieder richtig lachen können, ich sehne mich nach „Verliebt sein“, nach Schmetterlingen im Bauch, nach Leichtigkeit und einem Leben, wie es mir gefällt!
Und vielleicht kehrt dann auch die „alte Isa“ wieder zurück! Ach, ich möchte einfach wieder die lustige, ein bisschen chaotische aber liebenswerte Isa sein! Das Elfenkind, wie meine Großmutter mich immer nannte. Die Isa die in den Wald rennt und am See ihren Lieblingsbaum umarmt, die verrückte Sachen anstellt, ohne dauernd das Gefühl zu haben sich bei Benno dafür rechtfertigen zu müssen! Während meines Lebens mit ihm habe ich Großmutters Haus am See vergessen! Nachdenklich und traurig darüber starrte Isa weiter aufs Meer.
Doch nun war die Sonne fort und grauviolette Nebel zogen auf. Erschrocken sah sie auf die Uhr. Sie war wieder zu spät, Benno wartete sicher schon ungeduldig im Hotel! Er wollte sie ja heute zu einem Treffen mit seinen Geschäftsfreunden mitnehmen, sie sollte abends wiedermal die gut gekleidete, fröhliche Geliebte spielen!
Heute Morgen beim Frühstück meinte Benno – (er löffelte gerade sein Ei und sah sie bei seinen Bemerkungen nicht an, was er ja nie tat, wenn er an ihr etwas zu bekritteln hatte), dass ihr rotblondes, widerspenstiges Haar-Gekräusel am Kopf, hier im grauen Venedig wie eine Hexenfrisur aussah und bei einem Geschäftsessen vollkommen fehl am Platz sein würde. Dann drückte er Isa eine seiner Kreditkarten in die Hand und befahl ihr zum besten Friseur der Stadt zu gehen und sich „anständig“ frisieren zulassen. Ihm gefielen ihre in der feuchten Luft Venedigs krisseligen Locken, die ihr wie aufgebauschte, rotgoldene Flammen auf die Schultern züngelten, überhaupt nicht.
„Dame, nicht Punk ist angesagt!“, sagte er gönnerhaft und tätschelte ihr Hinterteil, während er sich in seinen Burberry warf und zum nächsten Vaporetto eilte.
Da er sie nun allein an diesem nebeligen Morgen im Hotel zurückließ, beschloss Isa trotzig, statt zum Friseur ins Guggenheim Museum zu gehen und
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