Der Kaufmann von Lippstadt
großen gläsernen Kronleuchters soll überprüft werden, damit nicht eines Tages dieser mit seinen zwölf Kerzen abstürzt und einen neuen großen Stadtbrand verursacht. Das wäre dann der sechste in Lippstadt. Ferdinand Overkamp ist Gott dankbar, dass die barocke Stuckdecke mit ihren farbenprächtigen Blumen und den biblischen Motiven ebenso unversehrt ist wie das übrige Gebäude.
»Das Dach muss teils neu gedeckt werden, neue Fensterscheiben müssen eingesetzt werden, zwei Türen und mehrere Läden gilt es zu erneuern. Das Glas des großen Spiegels muss ersetzt werden; der mit Blattgold versehene Rahmen ist unversehrt. Das Porzellan und die Gläser sind zersprungen; da müssen Sie wohl Neues beschaffen. Um den Schrank kümmert sich Sittrig«, fasst Drüdeke zusammen. »Was ist mit Ihren Waren?«, erkundigt er sich weiter.
»Unter dem Dach, in meinem Lagerraum, ist beinahe alles zu Bruch gegangen. Unsere Mägde und Knechte haben die halbe Nacht nach der Explosion ohne Unterlass gefegt und gewischt. Herr Kestner, Sie haben gesehen, wie es oben aussieht. Mein Gast, der werte Herr Matthiesen, hat kostbare Destillate und Weine mitgebracht. Diese standen noch unten im Kontor. Ich wollte erst ein neues Seil in den Lastenaufzug ziehen lassen, bevor wir die edlen Tropfen von außen am Hause hochziehen können. Die Flaschen in den Holzkisten sind heil, aber einige hatte ich herausgenommen, um sie zu prüfen. Sie sind alle zersprungen. Diese kostbaren Flüssigkeiten sind hier in die Dielenfugen gelaufen, sodass es nun wie in einer Schänke riecht. Ein unermesslicher Schaden!«, regt sich Ferdinand Overkamp auf. »Unermesslich! – Sämtliche der unter dem Dach gelagerten Waren sind ruiniert. Ich werde davon nichts verkaufen können. Nichts! Gar nichts. Es schmerzt mich so sehr; es tut mir so Leid«, spricht das schlechte Gewissen wegen der verursachten Explosion und der toten Burschen aus Ferdinand Overkamp. Die Männer beziehen seine Äußerung allerdings ausschließlich auf seinen Verlust.
»Herr Overkamp, wir müssen jetzt weitergehen. Ihr Haus ist nicht das einzige, das Schaden genommen hat«, beendet Drüdeke die Designation. Alles in allem hat Overkamp doch noch Glück gehabt, denkt er.
Als die Männer draußen in der Kirchgasse außer Hörweite sind, bestaunen sie die edle und stilvolle Ausstattung des Hauses.
»Der Overkamp hat es weit gebracht«, bemerkt Drüdeke nicht ohne Neid. »Seine Geschäfte müssen sehr, sehr gut laufen, sonst könnte er sich so etwas nicht leisten! Wie viel mag das Haus wert sein? 2000 Reichstaler? 37 Oder mehr?«
»Eher mehr«, vermutet Sittrig, der Tischlermeister. »So prächtig!«, staunt er. »Diese Ausstattung im Inneren! Sehr imposant. Die Supraporte muss neu sein. Das hat man jetzt so, ein Bild über der Tür. Und dieser neue Stil. Ja, der Overkamp muss wahrhaftig ein erfolgreicher Kaufmann sein. Vielleicht sogar der erfolgreichste, den Lippstadt in diesen Zeiten hat«, schwärmt Sittrig.
»Haben Sie auf seine Kleidung geachtet? Und was die gnädige Frau trägt? Sehr elegant und in so tadellosem Zustand, dass ich denke, es ist alles neu. Wenn dem so ist, wird ein Schneider eine große Rechnung ausstellen können«, vermutet Drüdeke.
»Ihr wisst ja, je näher man in Lippstadt an der Großen Marienkirche lebt, desto wohlhabender und angesehener ist die Familie«, ergänzt Zimmermeister Kestner. »Schaut euch um, die meisten Gebäude hier sind nach dem letzten Brand errichtet worden. Alle größer und repräsentativer als vorher. Auch das Overkamp’sche Gebäude nimmt jetzt so viel Raum ein wie vorher mehrere.«
Die Lippstädter interessiert neben der Schadensaufnahme vor allem der Ursprung, der Grund des Unglücks. Man erzählt sich, dass der Kaufmannsdiener der Witwe Heistermann namens Plange gesagt habe, dass die beiden toten Jungen, Johann Diethrich Musculus und Hermann aus Bockenforde, Pulver aus dem Magazin feilgeboten hätten. Und am Unglückstage hätten sie wohl neues Pulver stehlen wollen, doch sei ihnen ein Funke entsprungen, als sie geraucht hätten. Um die Stadt und ihre Bewohner wieder zu beruhigen, wird Johann Peter Ernst Plange von Bürgermeister Dr. Johann Conrad Rose und dem Stadt-Syndicus Peter Henrich Clüsener ins Rathaus vorgeladen. Ein für alle Mal soll geklärt werden, wie dieses Unglück geschehen ist.
»Herr Plange«, beginnt der Bürgermeister Dr. Rose die Befragung, »Sie haben in der Stadt verlauten lassen, das Unglück des 2. Juni könne
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