Der Kaufmann von Lippstadt
muss, drei Menschen getötet zu haben. Ihretwegen. Sie ist Schuld an allem, sie hat sich in einer schwachen Minute dem Stephan hingegeben. Ein Gedanke, den er sofort beiseiteschieben muss. Wie er es auch dreht und wendet, es bleibt alles unerträglich.
11ter August 1764
Wie jeden Samstagabend treffen sich viele der Lippstädter Männer im ›Goldenen Hahn‹. Caspar Engerling sitzt mit Freunden an der Theke und hat schon mehrere Runden Bier bester Sorte ausgegeben. Sie unterhalten sich hitzig und werden von Stunde zu Stunde lauter. Jeder von ihnen hat eine Heldentat zu berichten, jeder von ihnen ist der Beste. Engerling verkündet, er wolle es sich auf dem bevorstehenden Jahrmarkt so richtig gut gehen lassen, er könne es sich leisten. Er habe Geld. Seine Geschäfte laufen gut, sehr gut sogar, lässt er die Männer wissen. Dem Schuhmacheramt werde er vorstehen und vieles, ach, alles verbessern. In Zukunft werde er in Lippstadt noch viel Aufhebens machen, sie würden es schon sehen. Er werde ein Mann, den jeder in der Stadt mit Respekt behandelt. Hohes Ansehen werde er erlangen. In den Rat wolle er, ach, Bürgermeister werde er. »Ich werde Bürgermeister Engerling!«, ruft er laut und hebt sein Glas. »Auf unseren Bürgermeister!«, prosten seine Saufkumpane ihm zu.
Abseits, in einer dunklen Ecke, sitzt Bernhard Buersmeyer und beobachtet das Geschehen an der Theke. Es wundert ihn nicht, dass Engerling Geld hat; das bestätigt nur seine Vermutung, dass dieser den Overkamp erpresst, denn eigentlich sind Schuster arme Leute. Eine Kanne Bier bester Sorte kostet allein schon einen Mariengroschen. Und wie viel Bier haben die Männer schon getrunken? Mehrere Reichstaler wird Engerling bezahlen müssen. Für einen Schuster eine hohe Summe. Eine zu hohe Summe. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen.
Die Glocke an der Großen Marienkirche hat schon lange Mitternacht geschlagen, als Franz, der Wirt, auch den letzten Gast verabschiedet. Caspar Engerling und einige Männer, mit denen er getrunken hat, gehen in Richtung Große Marienkirche. Auf dem Marktplatz verabschieden sie sich, und jeder schlägt eine andere Richtung ein.
Bernhard Buersmeyer wartet an der Ecke Kirchgasse/Judenstraße. »Heda, Herr Engerling, ich muss mit Ihnen reden!«, flüstert Buersmeyer.
»Was wollen Sie? Lauern Sie mir auf?«, sagt Engerling überrascht.
»Ich mache es kurz: Ich verlange die Hälfte von dem, was Ihnen mein Herr, der Overkamp, gibt. Wenn Sie sich weigern, werde ich Gerüchte über Sie und Ihr Fräulein Tochter in Lippstadt verbreiten. Ist Ihr Ruf ruiniert, läuft auch Ihr Geschäft schlecht oder gar nicht mehr. Und Ihr Fräulein Tochter werden Sie nicht mehr unter die Haube bringen. Also, die Hälfte!«, zischt Buersmeyer. »Ich könnte sagen, Ihr Fräulein Tochter hätte schon mit so einem Halunken … – Sie verstehen? Eine Liebschaft.«
»Du Hurensohn, du machst mir keine Angst. Verschwinde!«, schimpft Caspar Engerling. »Geh mir aus dem Weg. Mein Weib wartet.« Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schiebt Caspar Engerling Bernhard Buersmeyer zur Seite und geht nach Hause.
In Gedanken malt sich Buersmeyer aus, was er der Schusterstochter so alles andichten könnte. Sie könnte eine heimliche Liebschaft haben, vielleicht mit einem verheirateten Mann, könnte mit diesem sogar schon das Bett geteilt haben. In den frühen Morgenstunden träfen sie sich, weit draußen Richtung Cappel, in einem Schuppen hätten sie ihr heimliches Nest, in dem sie sich schon eingerichtet hätten. Innigste Liebesschwüre gäben sie sich, sie dichteten und sängen, sie seien verliebt wie zwei … Er ein gestandener Mann, viel älter als sie, wolle noch mal was Junges und Frisches in den Händen halten. Fest sei ihr Körper, mit weiblichen Rundungen, ihre Haut zart und geschmeidig. Ihm stets zu Willen, mache, was er verlange, fordere nichts, erwarte nichts außer schöne Stunden. Leidenschaft und Hingabe, die Hitze beider Körper, eng aneinander, Haut auf Haut …
»Was lungerst du des Nachts vor dem Hause herum?«, ruft Overkamp von oben hinunter in die Kirchgasse und reißt Bernhard Buersmeyer aus seinen überaus angenehmen Gedanken.
»Nichts. Es ist nichts«, sagt Buersmeyer und betritt das Haus. Später, im Bett liegend, versucht er, die Begebenheit mit der Schusterstochter vor seinem inneren Auge nochmals heraufzubeschwören. Eine schöne junge Frau, dunkles Haar, grünliche Augen, schlank … Aber ihr Ruf ist so gut wie ruiniert. Beinahe
Weitere Kostenlose Bücher