Der Kaufmann von Lippstadt
Overkamp. Nein, er muss einen Weg finden, weder Blut noch Körper berühren zu müssen. Eine Art Sicherheitsabstand will er einhalten, denn allein Köpners Tod hat sich in seinem Hirn so festgefressen. Mehr grässliche Bilder in sich kann ein Mensch nicht aushalten. Wie elendig muss Köpner auf der Wiese zwischen Lippe und Munitionsgrube verschieden sein. Verreckt. Wie ein Tier. Welche Schmerzen muss er erlitten haben. Unermesslich. Aber Köpner hätte ihn, Overkamp, auch nicht erpressen dürfen. Da ist Köpner selbst schuld, rechtfertigt sich Overkamp vor sich selbst.
Heute Vormittag, so hat der Magistrat auf Geheiß des englischen Commissaire de Wyer verlauten lassen, will man die letzten Granatenreste aus dem Turm unweit des Hasenfangs, also zwischen Süder und Soest Tor, entfernen lassen. 91 Vier starke hiesige Männer sind ausgewählt worden, dieses zu tun. Einer von ihnen ist Caspar Engerling. Voller Stolz hat er in Lippstadt verkündet, dass ihn Dr. Johann Conrad Rose höchst selbst darum gebeten habe. Natürlich habe er, Engerling, dem werten Herrn Bürgermeister diese Bitte nicht abgeschlagen. Als heldenhaften Mann werden mich die Lippstädter feiern, weil ich die Stadt vor Gefahr bewahrt habe, malt sich Engerling aus.
Commissaire de Wyer fordert, dass die Granaten aufgeschraubt und ausgeschüttet werden. »Viel kann es ja nicht mehr sein«, sagt einer der Lippstädter. »Schließlich haben wir das meiste schon in Helfmanns Land vergraben.«
Und doch sind die vier Männer überrascht, wie viele Granaten sie noch aus dem Turm holen müssen und wie sehr das leidige Aufschrauben aufhält. Die Mittagsstunde ist schon vorüber, als Ferdinand Overkamp an dem Ort vorbeispaziert, an dem die Männer das Pulver auf einen Haufen draußen vor dem Turm schütten. Niemand blickt zu ihm, niemand grüßt ihn, und doch haben die Männer den hageren Overkamp vorbei gehen sehen.
»Was der hier rumschleicht?«, fragt einer der Männer.
»Was hat der hier zu schaffen? Man sagt, er sitze nur noch in seinem Kontor und tue nichts«, weiß ein anderer.
Mein Kontor, verbessert Engerling in Gedanken.
»Wusstet ihr, dass der Overkamp etwas mit der großen Explosion im Juni zu tun gehabt haben soll?«, fragt einer der Männer.
»Ach, das ist ja was! Erzählen Sie mal!«, fordert Engerling den Mann auf.
»Man weiß nichts Genaues. Aber er soll sich am Vormittag dort zu schaffen gemacht haben«, erinnert sich der Mann.
»Einer will sogar gesehen haben, dass er mehrmals vor der Explosion die Lange Straße zwischen Schuppen und Kirchgasse hin und her gelaufen sei, als sei der Teufel hinter ihm her«, ergänzt ein anderer. »Wussten Sie das nicht?«, fragt er Engerling.
»Nein, aber es ist gut, dass ich das jetzt weiß. – Männer, ich bin gleich zurück.« Caspar Engerling lehnt sich ein wenig abseits an einen Baum, um seine Gedanken zu ordnen. Jetzt sieht er alles deutlich vor sich. Es wird so gewesen sein, dass der Köpner den Overkamp beobachtet hat – wobei auch immer. Und der Halunke Köpner hat dann den Overkamp erpresst, und den Ausgang dessen hat er, Engerling, beobachtet. Mit viel Schwung war der Spaten in den Hals gekracht. Auch jetzt, Wochen später, läuft ihm, Engerling, ein Schauer über den Rücken. Das hätte er dem Overkamp gar nicht zugetraut. Reden konnte der Overkamp, lesen und schreiben, ja und natürlich große Geschäfte machen. Aber mit solcher Kraft einen Mann töten und ihn zum Lippeufer schleppen. Hinter dem Busch hatte er, Engerling, gehockt und beobachtet, wie sich der Overkamp an der Grube zu schaffen machte. Dann plötzlich hatte Overkamp innegehalten und in seine Richtung geblickt. Er glaubte schon, entdeckt worden zu sein, doch nein, Overkamp machte weiter. Und dann hatte er mehr erahnt als gesehen, wie der Köpner aus dem Wasser kroch. Mit letzter Kraft, sich über den Boden ziehend, um dann doch elendig zu verrecken.
Plötzlich fängt das ausgeschüttete Pulver Feuer. Es brennt lichterloh, und in Windeseile springt ein Funke auf den großen Vorrat im Turm über. Der ganze, aus einem dicken Mauerwerck bestehende Thurm [wird] dadurch unter fürchterlichem Krachen auseinandergesprengt. 92 Ein Getöse, welches die Lippstädter unmittelbar an die Ereignisse des 2. Juni erinnert.
Am Ende des Tages fasst Dr. Buddeus die Folgen der erneuten Explosion zusammen: Die 3 Arbeiter büßten dabei ihr Leben ein und einer davon war durch die Luft auf 40 Schritt in einen daran liegenden Baumgarten
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