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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Maria Fust
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sich einen Weg durch die feiernden Fans zum Bierstand und bestellen. »Noch drei!«, ruft Olivers Kollege. Hier auf dem Rathausplatz feiern die Lippstädter die deutsche Nationalmannschaft und sich selbst, als hätten sie persönlich in Südafrika Großes geleistet. Die drei Männer stoßen an. »Prost, auf Deutschland!«
    »Auf Deutschland«, sagt Oliver und trinkt sein Glas in einem Zug leer. Ein paar Minuten versucht er noch, dem Gespräch von Andy und dem anderen zu folgen. Entweder versteht er nicht, worüber sie sprechen, oder es gibt da nichts zu verstehen, weil sie betrunken aneinander vorbeireden.
    »Ey, macht’s gut. Ich kann nicht mehr«, verabschiedet sich Oliver schließlich von seinen Kollegen und verlässt den Rathausplatz wie viele andere auch. Vor ihm geht ein Paar Arm in Arm und biegt in die Kirchgasse ein. Als sie vor dem Overkamp’schen Haus – wie Oliver es immer nennt – stehen bleiben und den Haustürschlüssel suchen, bleibt auch Oliver stehen. Wie oft hat er schon vor diesem Haus gestanden und sich vorgestellt, wie es früher gewesen sein muss.
    »’n Abend«, beginnt Oliver das Gespräch, ohne jedoch einen Plan zu haben. »Ich kenne den, der früher hier gelebt hat. Den Herrn Overkamp.«
    »Ah, Sie kommen aus dem 17. Jahrhundert?«, stellt der Mann schlagfertig fest. »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise«, erkundigt er sich mit nicht zu überhörender Ironie.
    »Wieso 17. Jahrhundert? 18. Jahrhundert!«, sagt Oliver irritiert. Er kann nicht mehr klar denken.
    »Sehen Sie, dort oben im Querbalken, da hat Ihr Bekannter Caspar Theodor Overkamp 1657 hineinschnitzen lassen. Jetzt entschuldigen Sie uns bitte. Es ist spät.« Die beiden verschwinden im Haus.
    »Arschloch«, sagt Oliver lauter als beabsichtigt und ärgert sich über die Arroganz des Mannes. So ein Blödmann. Sein Blick bleibt für einen Moment an der Aufschrift der Klingel hängen: ›Wolfgang und Barbara Engerling‹.

    78 Vgl.: Lippstadt kann ruhig feiern . In: Der Patriot, 10. Juli 2010.

7ter November 1764
    Ferdinand Overkamp ist von Caspar Engerling in den ›Goldenen Hahn‹ bestellt worden. Overkamp weiß nicht, was Engerling von ihm will, und so betritt er mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend den Schankraum. In der hintersten Ecke wartet Engerling bereits an einem Tisch. Wortlos setzt sich Overkamp zu ihm. Engerling mischt Karten und teilt sie aus.
    »Wir spielen?«, fragt Overkamp ungläubig.
    »Ja, das machen wir jetzt häufiger«, sagt Engerling mit listigem Grinsen.
    »Was spielen wir?«
    »21«, antwortet Engerling knapp.
    »Ich bin kein Spieler. Wie geht das?«, hakt Overkamp nach.
    »17 und 4. Kennen Sie nicht? Ich dachte, Sie seien ein gebildeter Mann. Dieses Spiel haben die Franzosen im Siebenjährigen Krieg in die Stadt gebracht«, erklärt Engerling wichtigtuerisch. »Ich habe hier französische Karten.«
    Sie spielen dieses Spiel nach den ganz eigenen Regeln des Caspar Engerling, mal lauten sie so, dann wieder anders. Aber immer so, dass der Engerling gewinnt. Mit kindlicher Freude klatscht er in die Hände, wenn er die Regeln zu seinen Gunsten umgebogen hat. Bereits nach wenigen Spielen hat Overkamp aufgehört mitzudenken; er hat ohnehin keine Möglichkeit, zu gewinnen. Nach gut zwei Stunden hat Engerling freudig im ›Goldenen Hahn‹ verkündet, dass er 50 Reichstaler gewonnen hat. Einige beglückwünschen ihn zu seinem Gewinn, andere schauen Ferdinand Overkamp an und fragen sich, was da geschehen sein mag. »Das sieht ihm gar nicht ähnlich«, tuscheln sie, »und dann noch eine solch hohe Summe.« Gesenkten Hauptes geht Ferdinand Overkamp nach Hause. Der Teufel hat das Glücksspiel erfunden, um die Guten vom Pfad der Tugend abzubringen, denkt er traurig. Gott, warum hast du mich verlassen?

8ter November 1764
    Beschämt ist Overkamp in der Nacht nach Hause gegangen, hat sich neben seine Gemahlin gelegt und keinen Schlaf gefunden. In Gedanken ist der Mord an Engerling ganz einfach, geht es ihm durch den Kopf, doch ein so schneller Tod durch Genickbruch ist viel zu harmlos. Overkamp überlegt Qualvolleres; in den schillerndsten Farben malt er sich Lösungen aus, die ihn von Engerling und seinem Spiel befreien. Mord ist endgültig, alles andere kann nicht infrage kommen, beschließt Overkamp. Aber allein beim Gedanken, nochmals mit fremdem, noch warmem Blut in Berührung zu kommen, schaudert ihn so, dass er erst recht keinen Schlaf findet. Blutgeruch steigt ihm in die Nase, glaubt

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