Der Kaufmann von Lippstadt
die Schrecken des Siebenjährigen Krieges und der beiden Explosionen, der des 2. Juni und der des 8. November, nun hinter sich lassen zu können.
Die Gläubigen in der Großen Marienkirche singen ›Verleih uns Frieden, gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein ander nicht, der für uns künnte streiten. Denn du, unser Gott, alleine‹ . 110
Anschließend versucht Johanna Overkamp zu Hause in der guten Stube mit ihrem Mann ein Gespräch zu beginnen. Doch in den letzten Wochen oder gar Monaten ist er immer wortkarger geworden. Nur noch das Allernötigste spricht er.
»Ferdinand, bitte! Seit einem Jahr geht das nun schon so. Seit einem Jahr klebt Unglück an unserer Familie. Überlegen Sie, was alles geschehen ist. Die Explosion, der Fortgang Elisabeths, Theodor und Friedrich sind tot. Hinzu kommen noch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die zum Verlust des Wein Gartens führten. Unsere Möbel sind arrestiert und werden morgen verkauft. Warum machen Sie keine Geschäfte mehr? Früher waren Sie der Beste in Ihrem Metier. Und heute?«
Overkamp schweigt als hörte er sie nicht.
»Wenn Sie keine Geschäfte mehr machen, kommen Sie von Ihren Schulden nie los. Denken Sie an die tapferen Soldaten, die an der Seite Friedrichs alles gegeben haben. Sie haben ihr Leben für die Macht und das Wohl Preußens eingesetzt. Und Sie? Nehmen Sie sich ein Beispiel an Friedrich II. Der hat sich nie unterkriegen lassen. Hat immer gekämpft wie ein Mann. Viele werden ihn zum Vorbild nehmen. Kämpfen Sie wie Friedrich II. und Sie werden siegen«, fordert sie hitzig und öffnet ihren Fächer, um sich Abkühlung zu verschaffen. »Kämpfen Sie, Ferdinand. Es ist Ihre Pflicht! Denken Sie an die preußischen Tugenden! Sparsamkeit, Zuverlässigkeit, Bescheidenheit, Pflichtbewusstsein und Unbestechlichkeit.«
»Unbestechlichkeit!« Ferdinand Overkamp lacht bitter auf.
»Ferdinand, Sie tragen die Schuld am Untergang unserer Familie! Sie allein! Seien Sie ein …«
»Ich? Ich trage die Schuld?«, schreit Overkamp aufgebracht. »Ich trage die Schuld? Bestimmt nicht. Elisabeth trägt die Schuld. Sie hat sich unschicklich benommen. Es sind immer die Frauen schuld. Friedrich II. hatte schon recht mit seinem Frauenhass. Sie sehen doch, was Frauen anrichten können. Sie zerstören Familien. Sie beginnen Kriege. Maria Theresia von Österreich und die Zarin von Russland, E-li-sa-beth heißt sie auch noch«, lacht Overkamp bitter, »die beiden haben sich zusammengetan; sie haben sich verbündet. Die Französin, wie heißt sie doch gleich?, Madame de Pompadour – war auch dabei. Die drei haben den Siebenjährigen Krieg zu verantworten. Sie sind schuld!«
»Aber ich dachte, Friedrich II. hat erst die österreichische Provinz Schlesien eingenommen und dann später auch noch Sachsen. Das konnte sich Maria Theresia doch nicht gefallen lassen«, verteidigt Johanna die Frauen und wedelt sich immer schneller Luft mit ihrem Faltfächer zu. »Sie verdrehen alles!«
»Ach, dieser ganze österreichische Erbfolgekrieg hat alles durcheinandergebracht. Das Weib hätte gar nicht erst den Thron besteigen dürfen«, ruft Overkamp. »Aber Sie sehen, Väter tun für ihre Töchter alles ihnen mögliche und sei es nur aus der Not heraus: Der eine, Kaiser Karl VI., hat keine Söhne und erlässt eine pragmatische Sanktion, damit seine älteste Tochter, Maria Theresia, den Thron besteigen kann. Der andere wird zum Mörder, um das Ansehen seiner ältesten Tochter Elisabeth und der Familie Overkamp zu wahren, und verliert beide Söhne. Wenn da keine Ähnlichkeit vorhanden ist … Macht, Einfluss und Ansehen soll erhalten bleiben! – Und, Johanna, sprechen Sie nie, nie wieder so mit mir!«, fordert Ferdinand Overkamp mit eiskaltem Blick und knallt die Tür hinter sich zu. ›Köpner schlägt auf die Granatenkiste auf.‹
»… wird zum Mörder …«, flüstert Johanna und fächelt. »Mörder. Mörder?« Tränen rinnen ihr über das Gesicht. Die Hände zittern. Hat er ›Mörder‹ gesagt? Sie traut ihren eigenen Ohren nicht. Sagte Ferdinand, er sei ein Mörder? Wen kann er nur getötet haben?, überlegt Johanna und kommt schnell zu dem Schluss, dass es nur Bernhard Buersmeyer gewesen sein kann. Warum nur? Ach, das hat Ferdinand ja gesagt: um das Ansehen Lieschens und der Familie zu wahren. Johannas Herz rast, ihr Leib zittert. Sie schwitzt und fächelt sich Luft zu. Was war nur mit Buersmeyer, was hat er getan? Hat er gestohlen? Ja, hat er das
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