Der Kaufmann von Lippstadt
erkennen können, Sie haben keinen Sinn für so etwas.«
»Meine Herren, bitte!«, versucht Amtmann Claudius die Lage zu entschärfen. Die Situation droht außer Kontrolle zu geraten.
»Es war schon immer so, wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte«, mischt sich nun auch Engerling ein.
»Das wollen wir ja mal sehen!«, tobt Clüsener weiter. »Schuster, bleib bei deinen Leisten! Sie werden mit Ihrer Wichtigtuerei nicht durchkommen. Mit Ihnen stimmt doch etwas nicht, und ich werde dafür sorgen, dass Sie dahin kommen, wo Sie hingehören!«, droht Clüsener.
Ans Soest Tor, schießt es Ferdinand Overkamp durch den Kopf und lässt ihn zusammenzucken. Weiß Clüsener etwas? Was hat er da gerade angedeutet? Oh bitte, fleht Overkamp in Gedanken, nicht noch ein Mitwisser. Buersmeyer ist wie vom Erdboden verschluckt, Köpner tot und den Engerling, diesen aalglatten Blender, den wird er auch noch ans Soest Tor bekommen, hängt Ferdinand Overkamp seinen Gedanken nach und sieht ihn schon baumeln.
»… Soest Tor?«, fragt Zurhelle.
Overkamp erschrickt. Sprechen sie offen über meinen Plan? Nein, das können sie nicht. Sie wissen nichts davon. Können es nicht wissen. Wirklich nicht. Was geht hier vor?, überlegt Ferdinand Overkamp und wird zunehmend unruhig. Ihm wird heiß und übel vor Angst.
»Nein, nein, nicht ich«, antwortet der ehemalige Bürgermeister Dr. Johann Conrad Rose, der soeben angekommen ist. »Es wird dort gebaut, ja, aber es ist mein Cousin, Justizrat Johann Conrad Rose. Was er sich davon verspricht, dieses alte Gemäuer mit einzubringen? Ich weiß es nicht. Ich habe ihm geraten, das Tor abzureißen; die anderen Tore werden ja auch alle dem Erdboden gleichgemacht. Aber er sagt, das Soest Tor müsse nicht abgerissen werden, weil man ja künftig wieder über die Soeststraße durch das alte Soest Tor die Stadt verlassen könne«, regt sich Dr. Rose auf, weil sein Cousin immer alles besser zu wissen glaubt. »Nur weil weder dieses Tor selbst noch der hindurchführende Weg genutzt werden, könne dort überhaupt gebaut werden. Nicht so wie am Süder Tor – man munkelt, es soll abgerissen werden, wenn es nicht verkauft wird.«
»Es soll tatsächlich verkauft werden?«, erkundigt sich Overkamp und ringt innerlich um Fassung. »Ich dachte, es sei ein Gerücht.«
»Nein, nein, das Portal des Süder Tores soll nach Möglichkeit verkauft werden. 111 Aber noch interessiert sich niemand dafür«, erklärt Dr. Rose.
»Hand aufs Herz. Wer kauft schon Stadttore außer Ihrem Herrn Cousin, Justizrat Rose? Niemand!«, sagt Zurhelle. »Ich kann verstehen, dass niemand das Süder Tor haben möchte. Man sollte es abreißen, fertig!«
Overkamp ist erleichtert. Es geht nicht um ihn und seinen Plan. Seine Angst schwindet etwas, doch die Übelkeit bleibt.
»Ein repräsentables Haus mit einbezogener Wallpoterne 112 würde mir auch gefallen«, sagt Johann Conrad Kellerhaus. »Das würde zu unserer Familie passen.«
»Meine Herren, wir sind doch nicht zum Plaudern gekommen. Ich habe ein Ziel!«, verkündet Stadt-Syndicus Clüsener, der langsam wieder ruhiger wird und endlich die Mobilien sein Eigen nennen möchte.
»Glauben Sie nicht, dass ich Ihnen hier viel überlasse. Ich verfolge einen Plan, der mich noch in den Rat bringen wird!«, lässt Engerling verlauten. Wenn hier jemand provoziert, dann er selbst.
Engerling in den Rat, das fehlte noch, denkt Kellerhaus. Wie tief kann eine Stadt noch sinken? Früher hätte es so etwas nicht gegeben. Da galt noch das aristokratische Prinzip, man blieb unter sich. Das ungeschriebene Gesetz verlangte nach Gegenseitigkeit. Eine Hand wäscht die andere. 113 Da wusste man, worauf man sich verlassen konnte. Und heute?
Amtmann Claudius eröffnet die Auktion mit dem üblichen Procedere.
»Das erste Stück des heutigen Tages ist ein Nussbaumschrank, ein wunderschönes Stück. Sehen Sie? Mit Einlegearbeiten aus Nussbaumwurzel. Leider ist seine Oberfläche seit der Explosion im letzten Jahr sehr zerkratzt. Herr Overkamp war so freundlich, mir mitzuteilen, dass seinerzeit Tischlermeister Sittrig das edle Stück begutachtet hat. Sittrig habe gesagt, wenn er mit den Fronten fertig sei, sei der Schrank so gut wie neu. Leider hat Herr Overkamp Sittrig nicht mehr damit beauftragen können«, erläutert Amtmann Claudius und nennt das Mindestgebot.
»Für so einen zerkratzten Schrank? Der ist höchstens halb so viel wert«, redet Clüsener das Möbelstück schlecht, wohl in der Hoffnung,
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