Der Kaufmann von Lippstadt
wenigen Minuten«, sagt Amtmann Claudius spitz.
»Was wollen Sie damit sagen? Nur weil ich einmal zu spät gekommen bin?«, regt sich Clüsener sofort auf. »Das haben Möller und Dr. Rose veranlasst, dass Sie mich hier so behandeln, nicht wahr?«
»Nein, nein, natürlich nicht«, empört sich Amtmann Claudius. »Man weiß ja nie, welch Charakterzug sich bei Ihnen dahinter verbirgt«, sagt er überfreundlich und grinst. »Ich bin ja nicht zum ersten Mal Amtmann, und nach einer Weile kennt man seine Pappenheimer, nicht wahr, Bürgermeister Kellerhaus? Sie sind ja auch nicht zum ersten Mal dabei.« Kellerhaus nickt.
»Eben, Sie kennen mich. Ich bin zuverlässig und verfolge meine Ziele«, gibt Clüsener zurück und denkt, dass es ihm heute und in Zukunft gelingen wird, mehr und mehr aus dem Overkamp’schen Besitz an sich zu bringen.
»Herr Engerling, guten Tag«, begrüßt Amtmann Claudius den Schuster. Es ist ungewöhnlich, einen Bieter aus so niederem Stand bei einer Versteigerung zu haben. Genau genommen kommt es nie vor. Umso mehr sind die Anwesenden verwundert und sogar ein wenig verunsichert. Ob das mit rechten Dingen zugeht?, überlegt Bürgermeister Kellerhaus und hat ein flaues Gefühl in der Magengegend. Am Vormittag hatte er eigens deswegen ein langes Gespräch mit Amtmann Claudius geführt, wie bei einer solchen Angelegenheit zu verfahren sei. Dr. Rose hatte ihn darum gebeten. Beide, Claudius und Kellerhaus, waren sich darin einig, dass etwas mit Caspar Engerling nicht stimme, und beide vermuten, dass Engerling der Grund für Overkamps Ruin ist. Doch man könne nicht verhindern, dass der Engerling an der Auktion teilnimmt. Er habe sich zur rechten Zeit als Creditor gemeldet, alles läuft korrekt nach den Regeln. Nein, leider könne man Ferdinand Overkamp nicht helfen, es sei denn, er vertraue sich jemandem vom Magistrat an – was er allerdings nicht getan hat.
»Dann sind wohl alle anwesend, die bieten möchten«, sagt Clüsener mit hasserfülltem Blick auf Engerling. Clüseners Haare stehen ihm wild vom Kopf ab. Er ist schon jetzt so in Rage, dass sein Gesicht rot glüht und auf seiner Stirn erste Tröpfchen sichtbar werden. »Zweikampf!«, brüllt er an Engerling gewandt.
»Wir werden sehen, wer den längeren Atem hat«, gibt Engerling ruhig zurück. Er hat sich vorgenommen, sich nicht provozieren zu lassen. Schließlich bin ich ein Mann von Format, mit Stil, der sich in jeder Situation sicher zu bewegen weiß, beruhigt und versichert er sich selbst immer wieder.
»Das werden wir! Das werden wir!«, wird Clüsener noch lauter.
»Nein, nein, meine Herren. Zwei fehlen noch«, wirft Amtmann Claudius ein.
»Wer?«, fragt Clüsener erschrocken.
»Zurhelle und Johann Conrad Rose«, antwortet Claudius knapp.
»Zurhelle? Welcher? Der Alte?« Clüsener wird immer lauter. Seine Worte überschlagen sich beinahe.
»Nein, der junge Zurhelle. Herr Diedrich Heinrich Andreas Zurhelle«, erklärt Amtmann Claudius.
Clüsener sieht schon seine Felle davonschwimmen. Mit dem Engerling kann er es aufnehmen, hat er sich ausgerechnet. Aber mit den Zurhelles und Roses? Beides sehr einflussreiche Familien, so wie die Overkamps auch einst eine waren. Oder beinahe. Zurhelles und Roses haben Geld. Allesamt.
»Herr Zurhelle, seien Sie gegrü…«, beginnt Amtmann Claudius.
»Was wollen Sie hier?«, brüllt Clüsener sofort.
»Ich habe meine Gründe«, antwortet Zurhelle und wundert sich über das Verhalten seines Mitbieters, obwohl jeder in der Stadt weiß, dass Clüsener schnell, sehr schnell in Rage gerät und auch mit Worten schnell dabei ist.
»Sie haben Ihre Gründe? Wollen Sie etwa heiraten?«, entfährt es Clüsener. »Wen denn?«
»Clüsener, jetzt seien Sie nicht so taktlos!«, fordert Bürgermeister Kellerhaus.
»Sagen Sie!«, fordert Clüsener, als hätte Kellerhaus nicht gesprochen.
»Wie ich bereits sagte, Herr Clüsener, ich habe meine Gründe«, antwortet Zurhelle ruhig und findet das Verhalten des Stadt-Syndicus untragbar. Dass sich Kellerhaus so etwas bieten lässt?
»Geht es denn den Zurhelles so schlecht, dass sie schon gebrauchte Mobilien kaufen müssen?«, tobt Clüsener und gerät immer weiter in Wut.
»Herr Clüsener, Sie werden es nie so weit bringen, wie die Familie Zurhelle es gebracht hat. Und selbst wenn für Sie das Geld vom Himmel fallen würde, würde Ihnen der Stil fehlen. Die Overkamps haben Stil, wie Sie gleich an den Mobilien sehen können. Ach nein, Sie werden es nicht
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