Der Kaufmann von Lippstadt
sind nicht mehr sein Eigen. Verloren für immer. Wenn Kellerhaus ihm die Summe – diese lächerlich niedrige Summe – überreicht, bleibt ihm nichts anderes übrig, als auch dieses Geld dem Engerling zu geben. Dieser wird zusehends ungeduldiger. Nichts geht ihm schnell genug. Und Engerling hat ja eben selbst verkündet, welchen Plan er verfolgt. Overkamp weiß nicht, was ihn mehr schmerzt: dass der Hitzkopf Clüsener beinahe alle Zuschläge erhalten hat oder die Worte Engerlings, der nur darauf wartet, dass das Haus zwangsversteigert wird. Bestimmt wird es Engerling trotz der Kürze der Zeit gelingen, von Overkamp genügend Geld zu erpressen, um damit wiederum Overkamps Haus bezahlen zu können. Engerling hat bereits viele Hundert Reichstaler von ihm erhalten. Viele. Zu viele. Es wird nicht mehr viel Zeit vergehen, bis es so weit kommt, dass sein Haus versteigert wird. Und dann? Allein der Gedanke, Engerling Haus und Kontor zu überlassen, zehrt sehr an ihm. Wie hat es so weit kommen können? Engerling bekommt alles. Die Gläubiger werden leer ausgehen, sie werden weiter Forderungen stellen wie der Engerling auch, und so wird der Tag kommen, an dem … Ferdinand Overkamp kann es nicht einmal denken … Wie das Jüngste Gericht wird es werden. Und anschließend schmort Overkamp als Mörder in der Hölle. Und jetzt hat er auch noch sein Wort als Ehrenmann missbraucht und Bürgermeister Kellerhaus und Amtmann Claudius angelogen. Ins Gesicht gelogen. So weit ist es mit ihm schon gekommen. Aus einer ehrlichen Haut wurde ein Lügner. Aus einem erfolgreichen Kaufmann wurde ein Versager, ein Feigling, ein gebrochener Mann, der wahrlich alles verliert.
111 Vgl.: Hagemann: Die Festung Lippstadt . 1985. S. 124.
112 Und tatsächlich wurde diese Wallpoterne, der gemauerte Durchgang durch die Festungsanlagen, in ein Gebäude integriert. Am 23. Januar 2011 war das heutige Schauroth’sche Palais geöffnet und Dr. Gunter Hagemann referierte u. a. über die gewaltige Größe der Wallpoterne: Innen 5,50 Meter hoch, 5 Meter breit und 13 Meter lang, Mauerstärke 1,35 Meter. »Für 95 Jahre war dieser Raum das Soesttor«, so Dr. Hagemann, dann wurde die Festung geschleift. Durch Heirat und Erbschaft sei das Palais von Justizrat Rose [über Kellerhaus] schließlich Eigentum von Freiherr Friedrich von Schauroth geworden. Vgl.: „Für 95 Jahre war dieser Raum das Soesttor“. Der unansehnlichste Teil im Denkmal des Monats ist der interessanteste: Das Schaurothsche Palais schließt den alten Durchgang des Festungswalls ein. In: Der Patriot, 24. Januar 2011.
113 Klockow: Stadt Lippe – Lippstadt . 1964. S. 95.
12. September 2010
In der Nacht hat Oliver beschlossen, kurzerhand nach Lübeck zu fahren. Er hat nicht einmal seine Eltern oder seinen Bruder Daniel angerufen, um Bescheid zu sagen und sich mit ihnen zu verabreden.
In seiner dortigen Wohnung angekommen, zieht er die Vorhänge auf und lüftet. Frischer, kühler Wind weht durch das kleine Wohnzimmer, in dem er vor dem Sekretär seiner Oma sitzt. Seine Hand streicht über das glatte Holz. Nussbaum? »Oma, was soll ich nur machen? Ich habe da so eine Idee …«, flüstert Oliver und blättert gedankenverloren durch seine Kontoauszüge und seine Wertpapiere. Private Rentenvorsorge soll das werden. Irgendetwas muss ich machen, sonst sieht es im Alter mau aus, denkt Oliver. Aber bei den vielen Angeboten muss man sich beraten lassen, Riester, Rürup, Fonds … Immobilien versprechen mietfreies Wohnen. Zum Glück ist Oliver noch jung; es bleibt ihm Zeit, sich um seine Rente zu kümmern und irgendwo lange genug einzuzahlen.
Als es ihm zu kalt wird, packt er sämtliche Unterlagen in seinen Rucksack, verschließt die Fenster, zieht die Vorhänge wieder vor und verlässt keine Stunde später mit kalten Füßen seine Wohnung. Er fährt in Richtung Lippstadt. Niemand hat bemerkt, dass er überhaupt in Lübeck gewesen ist.
Auf dem langen Stück der Autobahn A7 überfällt Oliver ein mulmiges Gefühl. Er hat sein gesamtes Vermögen im Rucksack. Alles, was er besitzt, kann er mit den Dokumenten nachweisen. Wertpapiere, Konto- und Depotauszüge. Wenn er jetzt überfallen würde oder bei einem Unfall sein Auto in Flammen aufgehen würde, wenn … wenn plötzlich alles weg wäre? Was dann? Bisher ist er immer vernünftig mit seinem Geld umgegangen, aber ist das, was er jetzt vorhat, auch vernünftig? Ist es richtig? Es birgt in gewisser Weise ein hohes Risiko. Allein, dass Oliver
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