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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Maria Fust
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niemanden, nicht einmal Annika, ins Vertrauen gezogen hat, zeigt, wie unsicher er selbst ist. Ob es richtig ist, was er plant? Um sich selbst zu beruhigen, versichert er sich, dass er es niemandem erzählt, damit es ihm keiner ausredet. Er will es unbedingt. Und wie groß mag die Überraschung aller sein, wenn er berichten kann, dass sein Plan funktioniert hat?
    Oliver verlässt die A7 Richtung Bad Oeynhausen. Das Schild auf der Autobahn hat ihn schon auf dem Hinweg auf die Idee gebracht, einen Abstecher zum Casino zu machen. Er folgt den Wegweisern bis zum Parkplatz. Hoffentlich lassen sie mich in Jeans und Oberhemd überhaupt rein, sorgt er sich. Doch noch bevor er sich an der Kasse ausweist und Eintritt zahlt, sieht er, wie im vorderen Casino-Bereich ein junger Mann mit weißem Kapuzen-Sweat-Shirt und Jeans steht, deren Schritt so tief hängt, dass Oliver sich wundert, dass der Mann seine Hose noch nicht verloren hat. Eine schief sitzende Baseball-Kappe macht das lässige Outfit komplett. So hat sich Oliver die Kleidung der Gäste nicht vorgestellt, sondern eher, dass die Herren dunkle Anzüge und die Damen schicke bodenlange Kleider tragen. Aber er ist schließlich nicht in Baden-Baden.
    Eine Weile sieht Oliver am Roulettetisch zu. Die Spieler bedienen. »Nichts geht mehr«, sagt der Croupier. Die Kugel rollt. Die Jetons werden eingesammelt; sie verschwinden unter dem Tisch und werden sortiert. 50-Euro-Scheine werden gewechselt. Auch sie verschwinden unter dem Tisch in einer Lade. Ein Mann in einem weißen Anzug und mit einem auffällig großen Goldring zieht gleich einen Packen Scheine aus der Tasche und legt sie vor sich auf den Tisch. Jeder soll sehen, wie viel er hat. Eine Zurschaustellung, die Oliver nicht glauben würde, wenn es ihm jemand erzählte. Eine solariumgebräunte Frau im Minirock setzt sich auf den Schoß des Mannes und sonnt sich in seinem Geld. Oliver wendet sich ab; das, was er für ein Klischee hielt, wird ihm hier vorgeführt. Allerdings ist es die Ausnahme. Die meisten Casinobesucher sind unauffällig.
    An der Diamant-Bar trinkt Oliver eine Tasse Cappuccino und denkt über seinen Plan nach. Ob das alles so richtig ist, was ich vorhabe?, grübelt er und stellt sich vor, Wolfgang Engerling hier zu treffen und ihn dabei zu beobachten, wie er sein Geld verliert. Ob der Engerling auch einen weißen Anzug getragen hat, wenn er hier gewesen ist? Oliver sucht nach einem Wort, mit dem er diesen Stil beschreiben kann, aber es fällt ihm nichts ein. Weiße Anzüge aus den Siebzigern – Saturday Night Fever mit John Travolta – kommt ihm in den Sinn. Nein, so sehen weder der Mann am Roulettetisch noch Engerling aus. Engerling. Der ist eher Kategorie ›schmierig und fies‹. Der kommt hier nicht mehr her. Er hat ja bereits alles verloren. Alles weg, auch bald sein Haus – Overkamps Haus. Neben Oliver stoßen zwei ältere Damen in vermeintlich edlen Glitzerkleidern mit Champagner an und strahlen. Sie scheinen etwas zu feiern zu haben.
    Oliver sieht, wie am Blackjack-Tisch ein Platz frei wird, und stellt sich hinter den Stuhl, um zu sehen, wie ein Gast auf das Feld des Super Jack setzt. Die Karten werden ausgegeben. Mit einem dezenten Fingertipp auf das Spielfeld gibt der Spieler zu verstehen, dass er noch eine Karte nehmen möchte.
    »Sie sind ein Glücksjunge«, flüstert eine der beiden Champagner-Trinkerinnen Oliver ins Ohr. »Setzen Sie! – Zehn Euro – oder trauen Sie sich mehr?« Die ältere Dame blickt ihm tief in die Augen und lacht dann heiser auf.
    »Ich bin kein Spieler. Wie geht das eigentlich?«, hakt Oliver nach und fühlt sich sichtlich unwohl in Gegenwart dieser Dame.
    »Das ist wie 17 und 4. Kennst du das nicht?« Die Dame schüttelt den Kopf. »Ach, Jüngelchen. Du musst noch viel lernen«, sagt sie, grinst verschmitzt und geht.
    Als Oliver später wieder in seinem Auto sitzt, ist er froh, nicht gespielt zu haben. Für einen Moment hat er darüber nachgedacht, sein nicht unbeträchtliches Vermögen durch Spielen aufzubessern. Geld kann man schließlich immer gebrauchen, erst recht, bei dem, was er vorhat. Aber ich bin kein Spieler, denkt Oliver und erinnert sich an Overkamps Worte: ›Ich bin ein Mörder, aber kein Spieler‹ . Ich bin beides nicht, freut sich Oliver.

13. September 2010
    Oliver stellt sein Fahrrad am Rathaus ab und geht in die Kirchgasse. Lange steht er vor dem Overkamp’schen Haus und blickt auf das Schaufenster, das in neuerer Zeit zwischen das

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