Der Kaufmann von Lippstadt
als er das Gerichtsgebäude verlässt. »Jetzt ist es mein Haus!« Er strahlt über das ganze Gesicht. Seine Hände zittern, seine Füße sind kalt wie nie. Er kann sogar seine Bauchschlagader spüren. »Mein Haus«, sagt er zu sich selbst. Plötzlich springt Wolfgang Engerling aus dem Gebüsch. Der große Lebensbaum im Innenhof des Amtsgerichtes hat ihm Sichtschutz geboten. »Du Schwein!«, schreit Engerling. »Es ist mein Haus. Ich sehe es an deinem scheiß Grinsen. Du hast den scheiß Zuschlag erhalten.« Ehe Oliver sich’s versieht, rammt ihm Engerling sein Knie zwischen die Beine, und ein rechter Haken trifft seine Augenbraue. Vor Schmerz geht Oliver zu Boden und krümmt sich. Blut läuft ihm über sein Gesicht und verklebt das Auge. Es scheint anzuschwellen. Der Wachmann kommt gerannt und hilft Oliver wieder auf die Beine. »Das wird dir noch leidtun! Dich mache ich fertig!«, schreit Engerling und verschwindet in Richtung Stadtpark Grüner Winkel.
»Kennen Sie den?«, fragt der Wachmann.
»Hm, ja, kann man so sagen«, nuschelt Oliver und wischt sich übers Gesicht. Das kann ja heiter werden, denkt er und schaut auf seine blutverschmierten Hände. Wie das aussieht!
»Kommen Sie mit rein. Ich rufe Ihnen einen Krankenwagen. Das muss genäht werden«, beschließt der Wachmann und greift drinnen zum Telefon. »Sie müssen den Mann anzeigen. Das geht doch so nicht!«, fordert er weiter. »Sieht übel aus über Ihrem Auge. Das ist Körperverletzung. Das dürfen Sie sich nicht gefallen lassen!«
Es ist bereits Mittag geworden, als Oliver das Dreifaltigkeitshospital an der Soeststraße verlässt. Mit fünf Stichen ist die Wunde genäht worden.
»Da bleibt Ihnen bestimmt ein Andenken zurück«, hat der Arzt gemeint.
»Tja. Ich fürchte, das ist erst der Anfang. Dieser Mann wird mir noch viel Ärger machen«, hat Oliver mehr zu sich als zu dem Arzt gesagt.
Vor dem Haupteingang des Krankenhauses bleibt Oliver stehen, um Annika anzurufen.
»Hi«, begrüßt er sie, »ich muss dir unbedingt etwas erzählen. Ich habe Overkamps Haus gekauft und mich von Engerling niederschlagen lassen. Erinnerst du dich an ihn?«
»Spinnst du? Was erzählst du denn da?«, fragt Annika irritiert. »Ich kann dir nicht folgen.«
Oliver erzählt ihr die ganze Geschichte von vorne; das von der Oma geerbte Geld, die Zwangsversteigerung, der Zuschlag an ihn und dass Engerling ihm aufgelauert und ihn niedergeschlagen hat.
»Jetzt habe ich ein blau-lila Veilchen. Alles ist geschwollen. Die Platzwunde musste genäht werden. Wenn es dir nicht zu peinlich ist, mit mir in diesem Zustand irgendwo hinzugehen, würde ich gerne mit dir heute Abend feiern. Wir könnten irgendwo essen gehen«, schlägt Oliver vor. »Man ersteigert schließlich nicht jeden Tag ein Haus, das dann nach 245 Jahren quasi wieder in Familienbesitz zurückkommt. Hast du Zeit?«
»Ich komme gerne. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen; heißt es nicht so?«, lacht Annika. »Aber geht es dir wirklich gut genug? Solltest du dich nicht besser ausruhen?«, fragt sie besorgt. »Ich könnte dich pflegen.«
»Hey, gute Idee. Erst gehen wir essen, und dann pflegst du mich. Ich bin wirklich richtig bedürftig!«, versichert Oliver mit einem Lachen.
»Okay, so machen wir es. Aber ich muss dich nicht füttern, oder? Soll ich noch schnell eine Schnabeltasse besorgen?«, erkundigt sich Annika.
»Nein danke. Sehr freundlich. Essen kann ich noch selbst. Aber dann muss ich gepflegt werden. Eine Massage wäre gut. Verwöhn’ mich einfach«, freut sich Oliver.
Nach dem Telefonat mit Annika wählt Oliver die Nummer eines Taxidienstes. Schließlich muss er sein Fahrrad am Amtsgericht abholen. Während er auf das Taxi wartet, fällt sein Blick auf ein altes Gebäude, das irgendwie zum Krankenhaus gehört: ›Palais Schauroth – Informationszentrum für Gesundheit und Pflege‹ steht auf dem Schild davor. Auf einer bronzenen Tafel an der Hauswand liest er:
palais schauroth
palais errichtet zwischen 1763 und 1776 für freiherrn von schauroth. im inneren ausstattung der erbauungszeit sowie teile der neuzeitlichen stadtbefestigung (wallpoterne des ehemaligen soesttores) erhalten.
Als er endlich nach Stunden wieder zu Hause ankommt, nimmt Oliver eine Schmerztablette und legt sich hin. Am liebsten würde er schlafen, aber seine Gedanken kreisen um das neu ersteigerte Haus, sein Haus. Sein eigenes Haus! Was muss er jetzt bedenken? Viel Papierkram wird auf ihn zukommen, ganz klar, aber
Weitere Kostenlose Bücher