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Der Keil des Himmels

Der Keil des Himmels

Titel: Der Keil des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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drohend und massiv vor ihnen aufragende Ecke im Umriss des Bauwerks zulief, auf das schützende Dunkel der Mauer. Er wusste, ihre dunkle Kleidung schützte sie vor Entdeckung. Trotzdem flirrte Nervosität durch seinen Körper bei dem Gedanken, dass sich jemand nach ihnen umdrehen könnte. Bei der Dichte der Wachen war ein solcher Spurt ein Wagnis, ein echtes Glücksspiel. Die Kutten schienen sich dennoch ihrer Sache absolut sicher zu sein und hatten keinen Moment gezögert. Er hoffte, sie wussten tatsächlich so genau, was sie taten, wie sie sich den Anschein gaben.  
    Dann war die Mauer da, und seine Hände berührten kalten Stein. Die Kutten hielten nicht inne – die zwei mit den Kompakt-Armbrüsten nahmen die Waffen von ihrem Rücken, legten die Schäfte mit den Fanghaken ein. Selbst für Auric, der so nah bei ihnen war, verschwammen die Formen ihrer anthrazit-farbenen Gewänder fast mit dem Dunkel der Nacht. Genauso unsichtbar musste er selbst durch die Kleidung sein. Der erste Schuss traf. Das Seil saß straff. Beim zweiten ging es genauso. Die Fanghaken waren an die Brüstung des flachen Daches gezogen, die Sprungfedern waren beim Aufprall ausgelöst worden, hatten Klingen freigesetzt, die sich selbst in Stein krallen sollten: Das war die Theorie – Auric hatte sie staunend, und mit leichten Zweifeln, in der Vorbesprechung gehört.
    Der Erste griff das Seil, zog sich hoch – mit fließenden, gleitenden Bewegungen, die die Prozedur als vollkommen mühelos erscheinen ließen –, der Zweite folgte. Auric legte den Kopf in den Nacken und sah unter dem Kapuzenrand hinweg, wie sie die Fensterbrüstung erreichten, dann ihnen zuwinkten. Schwert packte das erste baumelnde Seil, hielt es Auric hin, griff dann selber nach dem zweiten. Die vierte Kutte blieb unten zurück.  
    Mit einem flauen Gefühl im Magen wuchtete sich Auric neben Schwert am Seil die erste Körperlänge in die Luft. Seine Füße trafen hart die Wand, rutschen nicht. Eine spezielle Sohle mit Metalldornen gewährte ihm besseren Halt am Mauerstein. Er kletterte weiter, fluchte im Stillen auf die selbstverständliche Gewandtheit Schwerts, der ihm an Höhe voraus war, und stellte fest, das Seil hielt, hey, das Seil hielt tatsächlich! Hörte in seinem Geist die Stimme Keiler Dreis kommentieren: „Anders wär‘ scheiße gewesen.“
    Sie erreichten den Fenstersims, auf dem die beiden ersten Kutten zu beiden Seiten hockten, als befänden sie sich auf festem Erdboden. Schwert stieß ihn ungeduldig an, und er quetschte sich zwischen ihnen durch das offene Fenster hindurch. Stieg drinnen von der Brüstung, spürte, wie die anderen Kutten ihm in seinem Rücken folgten und musterte den Raum.
    Er war düster, nur von wenigen Kerzen erleuchtet, diente offensichtlich als Schlaf- und Aufenthaltszimmer. Beim Anblick der Gestalt, durchfuhr ihn eine Welle der Überraschung. Niemand hatte ihm gesagt, dass der Aussteiger eine Frau war. Sie stand zwar mit dem Rücken zu ihm und trug praktische und nicht gerade feminine Kleidung, auch waren ihre Formen nicht gerade üppig – wenn frauenhaft, dann auf eine knochige, gerade Weise. Trotzdem erkannte er klar das Weibliche an der Gestalt.
    „Ist er dabei?“ Ihre Stimme bestätigte seine Beobachtung.
    „Ich fragte, ist der Bürge Ihrer Identität bei ihnen?“
    „Ja, ich bin hier“, sagte Auric und trat auf die Frau zu, die noch immer keine Gestalten machte sich zu ihm umzudrehen.
    „Dann soll er die Maske ablegen und sich zeigen.“
    Auric zog Kappe und Kapuze auf die Schulter, legte die Gesichtsmaske ab und trat dann bis auf einen Meter an die Frau heran. Sie spürte seine Annäherung und drehte sich ebenfalls zu ihm hin, blickte ihm ins Gesicht und musterte ihn.  
    Ein Schock der Überraschung durchfuhr ihn.
    „Morante. Schön, dass Sie zu meiner Rettung geeilt sind.“
    „Der gehätschelte Emporkömmling Barbarengeneral Morante steht zu ihren Diensten, Vikarin Berunian.“  
    Sie hob ihm in die Augen blickend hochmütig den Kopf in den Nacken, machte dabei ein kleines klickendes Geräusch mit der Zunge.  
    „Er ist es. Er ist es also tatsächlich. Jetzt kann ich mich ohne Befürchtungen meinem Rettungskomitee anvertrauen.“
    Vikarin Berunian, die richtige Frau im falschen Lager, sie war der Aussteiger? War das möglich? Dass jemand so mächtig und einflussreich wie sie, einfach so vom Einen Weg gefangengesetzt wurde und auf diese verstohlene Art befreit werden musste? Dass jemand so mächtig und

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