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Der Keil des Himmels

Der Keil des Himmels

Titel: Der Keil des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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noch geführt. Allein wäre er hilflos gewesen. Zum ersten Mal durch Himmelsriff zu gehen, war für ihn ein Gefühl, als tastete man sich durch lang fallende Schleier, einer nach dem anderen, ein Labyrinth halb durchscheinender, halb verhüllender Bahnen, in dem man sich verlor, das nicht enden wollte. Er begriff, dass – auch wenn der Hauch des Bedrohlichen fehlte, der mit den Kinphauren und ihren Werken einherging – er sich in den Ninraé dennoch mit einer Fremdartigkeit konfrontiert sah, die er bisher noch unterschätzt hatte.
    Und dann gelangten sie in einen der Großen Korridore.
    „Wir kommen jetzt in den Komplex der Siebzehnhundertneununddreißig Hallen“, hatte Darachel kurz zuvor angekündigt. „Wir sind bald am Ziel unseres Weges.“
    Und Auric bemerkte, dass ihm der Mund offenstand.  
    Dies war der Glanz von Himmelsriff, der Feste der Ninraé.  
    Ein Schacht von Licht und Schleiern verlief durch den Fels, scheinbar endlos, scheinbar himmelhoch. Wer hatte gelernt, Licht zu schneiden und zu formen, in solche gigantischen Blöcke, dass sie den Raum zwischen zwei gegeneinander geschobenen, in Klippen endenden Bergen ausfüllten?  
    Auch hier spülten Falten und Schichten von Licht und Wahrscheinlichkeit die Weiten von Wänden und Boden und dem, was Decke sein mochte, entlang, in einem Effekt, wie man ihn von Kreisen und Spiegelungen im Wasser kannte, nur als lineare Schichten und Splitterungen. Nur nahm hier die Realität selber die Stelle der Wasserfläche ein.
    „Gewöhnt man sich daran?“, fragte Auric in das, was nicht als Stille bezeichnet werden konnte, hinein.
    „Gewöhnen sich Adamainraé, gewöhnen sich Menschen so sehr an die Welt, dass sie nicht mehr staunen über das, was sie ihnen darbietet?“, hörte er Siganches Stimme zurückfragen.
    Er blickte in ihr Gesicht. „Das kommt ganz auf das Temperament an“, sagte er.
    „So ist es wohl auch hier.“

    Zuerst nahm er den Silaé nur wahr, so wie man ein nahendes Gewitter fühlt.
    Zunächst war er sich auch unklar darüber, ob es sich wirklich um etwas Tatsächliches handelte oder ob ihn einfach seine Sinne täuschten.
    Schon die Enthravanen hatten etwas Sonderbares an sich gehabt. So als ob sie nicht gänzlich körperlich seien, sondern irgendwie eine Erscheinung in der Welt der Materie, die aus Licht modelliert worden war. So wie die Anmutung, die einen überfällt, wenn man etwas in einem Spiegel abgebildetes sieht und spürt, dass dem eine Qualität fehlt, die dem wirklichen, greifbaren Ding anhaftet, das hier nur dargestellt ist. Die Enthravanen umgab das Flirren der Unschärfe, das auch Himmelsriffs Aura ausmachte – und mit dem umzugehen er tatsächlich mit jeder Minute immer besser lernte.
    Zumindest nahm er den Raum, in dem sie sich befanden, klarer wahr.  
    Er hatte etwas von einem Forum, obwohl er nicht rund war sondern in viele gerade Winkel und Kanten aufgespalten. Er war groß und hoch, doch begrenzend, und seine Mauern waren Hüllen, die dem Innenraum eine tatsächliche Form und Umfassung gaben. Es gab Stufen hinab zu einem Zentrum und Lichtschächte irgendwo in den Winkeln der Deckenarchitektur, von denen aus Lichtbahnen die Luft durchschnitten.
    Die anwesenden Enthravane, die ihnen die Stufen hinab entgegenkamen, hießen Cianwe-Gauchainen, Cenn-Vekanen und Viankhuan (er lernte durch seine Sprachlektionen immer besser, sich die fremdartigen Laute des Ninraid einzuprägen), und von ihnen war letztere ein weiblicher Ninra.
    Nachdem Auric sich dann schließlich das Herz gefasst hatte, seinen Sinnen zu trauen, nahm er wahr, wie der Silaé in der Mitte des Raumes wie in sich flechtendem und faltendem Licht Gestalt annahm und aus dem atmosphärischen Beben, das ihn angekündigt hatte, heraustrat.
    „Wir grüßen Sie, Auric Torarea Morante“, sagte der Enthravan, den Darachel als Cianwe-Gauchainen vorgestellt hatte, „im Namen der Gemeinschaft von Himmelsriff.“ Hinter Cianwe-Gauchainen ragte jetzt die Gestalt des Silaé auf, und dessen Anblick lenkte Auric immer wieder vom Gesicht des Enthravanen ab, zog seinen Blick magisch an.
    „Ich grüße Sie ebenfalls und danke ihnen für die Gastfreundschaft und Hilfe, die mir hier zuteil geworden ist. Ihren Künsten und ihrer Bereitschaft, sich um einen Fremden zu kümmern, verdanke ich mein Leben. Ich stehe tief in Ihrer Schuld.“
    Die Antwort des Enthravanen hörte er nur halb. Er musterte stattdessen den Silaé, der schweigend wie eine Säule aus Licht im Hintergrund

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