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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Wasser sickerte in die Leichenhalle und auf den Parkplatz hinterm Haus.
    »Muß ich mir große Sorgen machen?« fragte ich beunruhigt.
    »Es wird schon wieder aufhören«, sagte Wesley, als ließe sich das Wetter vorhersagen wie die nächsten Schritte eines Verbrechers.
    Er zog seinen Regenmantel aus, und der Anzug darunter war so dunkelblau, daß er fast schwarz wirkte. Er trug ein gestärktes weißes Hemd und eine konservative Seidenkrawatte. Seine silbergrauen Haare waren ein wenig länger als sonst, aber wohlfrisiert. Seine scharfen Züge ließen ihn generell wachsamer und einschüchternder wirken, als er war, aber heute hatte er ein besonders grimmiges Gesicht aufgesetzt, und zwar nicht nur meinetwegen. Er und Marino gingen zu einem Sektionswagen, um sich Handschuhe anzuziehen und Masken umzubinden.
    »Tut mir leid, daß wir so spät kommen«, sagte Wesley zu mir, während ich weiterarbeitete. »Jedesmal wenn ich aus dem Haus wollte, klingelte das Telefon. Diese Sache ist ein echtes Problem.«
    »Für diese Frau auf jeden Fall«, sagte ich.
    »Scheiße.« Marino starrte auf das, was einmal ein menschlicher Körper gewesen war. »Wie kann man so etwas nur tun?«
    »Ganz einfach«, sagte ich, während ich die Milz sezierte.
    »Man sucht sich eine alte Frau und sorgt dafür, daß sie nicht genug zu trinken und zu essen bekommt, und wenn sie krank wird, vergißt man den Arzt zu holen. Dann erschießt man sie oder schlägt ihr den Kopf ein.« Ich blickte zu ihnen auf. »Ich wette, sie hat einen Schädelbasisbruch. Vielleicht auch irgendein anderes Schädeltrauma.«
    Marino machte ein verdutztes Gesicht. »Sie hat doch gar keinen Kopf. Woher wollen Sie das wissen?«
    »Das weiß ich, weil sie Blut in der Luftröhre hat.«
    Sie traten dichter heran, um zu sehen, was ich meinte.
    »Der Grund dafür könnte sein«, fuhr ich fort, »daß ihr nach einem Schädelbasisbruch Blut die Kehle runtergelaufen und beim Atmen in die Luftröhre gelangt ist.«
    Wesley musterte die Leiche eingehend, wie es jemand tut, der schon unzählige Male Tod und Verstümmelung vor Augen gehabt hat. Er starrte auf die Stelle, wo der Kopf hätte sein sollen, als könnte er ihn sich dazudenken.
    »Sie hat Blutungen im Muskelgewebe.« Ich machte eine bedeutungsvolle Pause. »Sie war noch am Leben, als der Täter anfing, sie zu zerstückeln.«
    »Mein Gott«, stieß Marino angewidert aus und zündete sich eine Zigarette an. »Das darf doch nicht wahr sein.«
    »Ich sage nicht, daß sie bei Bewußtsein war«, fügte ich hinzu.
    »Höchstwahrscheinlich trat der Tod kurz darauf ein. Aber sie hatte immer noch einen Blutdruck, so schwach er auch gewesen sein mag. Zumindest in der Halsgegend, nicht jedoch in Armen und Beinen.«
    »Dann hat er ihr zuerst den Kopf abgetrennt«, sagte Wesley zu mir.
    »Ja.«
    Er betrachtete die Röntgenaufnahmen an den Wänden.
    »Das paßt viktimologisch nicht zusammen«, sagte er. »Überhaupt nicht.«
    »Nichts an diesem Fall paßt«, entgegnete ich. »Außer daß auch hier eine Säge benutzt wurde. Ich habe an den Knochen jedoch auch ein paar Schnitte gefunden, die von einem Messer stammen könnten.«
    »Was kannst du uns sonst noch über sie sagen?« fragte Wesley, und ich spürte seinen Blick, während ich einen feingeweblichen Schnitt in den Behälter mit Formalin legte.
    »Sie hat eine Art Ausschlag, möglicherweise eine Gürtelrose, und zwei Narben auf der rechten Niere, die auf eine Pyelonephritis, eine Nierenbeckenentzündung, hindeuten. Der Muttermund ist verbreitert und sternförmig, möglicherweise ein Anzeichen dafür, daß sie Kinder geboren hat. Ihr Myocardium, der Herzmuskel, ist weich.«
    »Das heißt?«
    »Daran können Toxine schuld sein. Giftstoffe, die von Mikroorganismen produziert werden.« Ich schaute zu ihm hoch. »Wie ich schon sagte: Sie war krank.«
    Marino wanderte umher und sah sich den Rumpf aus unterschiedlichen Blickwinkeln an. »Haben Sie irgendeine Ahnung, was sie hatte?«
    »Aus der Sekretion in ihren Lungen schließe ich, daß sie eine Bronchitis hatte. Woran sie sonst noch litt, weiß ich momentan noch nicht. Ihre Leber ist allerdings in einem ziemlich üblen Zustand.«
    »Vom Alkohol«, sagte Wesley.
    »Gelblich und knotig. Ja«, erwiderte ich. »Und ich würde sagen, daß sie früher geraucht hat.«
    »Sie ist nur noch Haut und Knochen«, bemerkte Marino.
    »Sie hat lange nichts gegessen«, sagte ich. »Ihr Magen ist röhrenförmig, leer und sauber.« Ich zeigte ihnen, wovon ich

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