Der Keim des Verderbens
Liste?«
»Der Liste, die ich mir schon als Kind gemacht habe. Alaska, Las Vegas und die Grand Ole Opry«, sagte er, als erfülle der Gedanke ihn mit Freude. »Gibt es keinen Ort, den Sie aufsuchen würden, wenn Sie tun könnten, was Sie wollen?«
Mittlerweile waren wir am Terminal angelangt, und er hielt mir die Tür auf.
»Doch«, sagte ich. »Mein Bett bei mir zu Haus.«
Ich ging zum Delta-Schalter, holte unsere Tickets ab und begab mich nach oben. Wie immer um diese Zeit war außer dem Schalter der Flughafenpolizei nichts geöffnet. Als ich meinen Hartschalenkoffer zur Durchleuchtung aufs Laufband legte, wusste ich bereits, was passieren würde.
»Ma'am, ich muss Sie bitten, den Koffer zu öffnen«, sagte die Sicherheitsbeamtin.
Ich schloss ihn auf und ließ die Verschlüsse aufschnappen. Im Innern schmiegten sich beschriftete Plastikbeutel mit den Knochen darin in die Schaumstoffpolster. Die Beamtin machte große Augen.
»Das ist nicht das erste Mal, daß ich mit solchem Gepäck die Kontrolle passiere«, erklärte ich geduldig.
Sie machte Anstalten, nach einem der Plastikbeutel zu greifen.
»Bitte fassen Sie nichts an«, warnte ich sie. »Das sind Beweismittel in einem Mordfall.«
Hinter mir standen inzwischen mehrere andere Reisende und spitzten die Ohren.
»Ich muss mir das ansehen.«
»Das geht nicht.« Ich holte meine Gerichtsmedizinermarke hervor und hielt sie ihr vor die Nase. »Falls Sie irgend etwas davon anrühren, muss ich Sie in die Beweiskette aufnehmen, und dann werden Sie, wenn dieser Fall vor Gericht kommt, als Zeugin vorgeladen.«
Weiterer Erklärungen bedurfte es nicht, und sie ließ mich durch.
»Dumm wie Bohnenstroh«, murmelte Marino, während wir gingen.
»Sie macht nur ihren Job«, entgegnete ich.
»Hören Sie«, sagte er. »Wir fliegen doch erst morgen zurück.
Das heißt, wenn Sie nicht den ganzen verdammten Tag damit verbringen, sich Knochen anzuschauen, haben wir noch etwas Freizeit.«
»Nach Graceland können Sie allein fahren. Ich muss noch arbeiten und werde auf meinem Zimmer bleiben. Übrigens sitze ich im Nichtraucherbereich.« Ich suchte mir an unserem Flugsteig einen Platz aus. »Wenn Sie rauchen wollen, müssen Sie da drüben hingehen.« Ich zeigte mit dem Finger in die Richtung.
Er ließ seinen Blick über die anderen Passagiere schweifen, die wie wir darauf warteten, an Bord gehen zu können. Dann schaute er mich an.
»Wissen Sie was, Doc?« sagte er. »Das Problem ist, daß Sie es hassen, sich zu amüsieren.«
Ich holte die Morgenzeitung aus meinem Aktenkoffer und schlug sie auf.
Er setzte sich neben mich. »Ich wette, Sie haben noch nie einen Song von Elvis gehört.«
»Wie hätte ich das denn hinkriegen sollen? Elvis läuft schließlich überall: im Radio, im Fernsehen, im Fahrstuhl ...«
»Er ist der King.«
Ich sah Marino über die Zeitung hinweg an.
»Seine Stimme, einfach alles an ihm. So einen wie ihn hat es nie wieder gegeben«, fuhr Marino ganz verliebt fort. »Ich meine, das ist wie mit klassischer Musik und diesen Malern, die Sie so mögen. Ich glaube, solche Leute gibt es nur alle paar hundert Jahre mal.«
»Sie stellen ihn also auf eine Stufe mit Mozart und Monet.«
Gelangweilt von Lokalpolitik und Wirtschaft blätterte ich die Seite um.
»Manchmal sind Sie wirklich ein verdammter Snob.« Mißmutig stand er auf. »Sie könnten ja vielleicht einmal im Leben in Erwägung ziehen, irgendwohin zu gehen, wo es mir gefällt.
Haben Sie mir je beim Bowling zugesehen?« Wütend starrte er auf mich herab und holte seine Zigaretten heraus. »Haben Sie je etwas Nettes über meinen Wagen gesagt? Sind Sie je mit mir angeln gegangen? Waren Sie je zum Essen bei mir? Nein, ich muss zu Ihnen kommen, weil Sie im richtigen Teil der Stadt wohnen.«
»Kochen Sie mir was, dann komme ich zu Ihnen«, sagte ich, ohne den Blick von der Zeitung abzuwenden.
Verärgert stapfte er davon, und ich spürte, wie fremde Leute uns anglotzten. Vermutlich hielten sie Marino und mich für ein Paar, das sich schon seit Jahren nicht mehr verstand. Ich lächelte in mich hinein und blätterte weiter. Ich würde nicht nur mit ihm nach Graceland fahren, sondern ihn sogar heute abend zum Barbecue einladen.
Da es von Richmond aus offenbar außer nach Charlotte keine Direktflüge gibt, flogen wir über Cincinnati. Gegen Mittag kamen wir in Memphis an und checkten im Peabody Hotel ein. Ich hatte für uns beide einen Sonderpreis für Angestellte des öffentlichen Dienstes von
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