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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Als ich mich bei AOL einloggte, fühlte ich mich, als hätte sich alle Welt gegen mich verschworen. Ich hatte den M.E.-Chat-Raum kaum betreten, als deadoc auftauchte - diesmal nicht mit einem für andere unsichtbaren Telegramm, sondern als Teilnehmer, den jeder andere, der hereinkam, hören und sehen konnte.
    DEADOC: wo waren sie
    SCARPETTA: Wer sind Sie?
    DEADOC: das habe ich ihnen schon gesagt
    SCARPETTA: Sie sind nicht ich.
    DEADOC: er gab ihnen macht über die unreinen geister daß sie die austrieben und heilten alle krankheiten und alle gebrechen pathophysiologische Symptome viren wie hiv unser darwinscher kämpf gegen sie sie sind bösartig oder sind wir es
    SCARPETTA: Erklären Sie, was Sie meinen.
    DEADOC: es sind zwölf
    Er hatte nicht die Absicht, mir etwas zu erklären, zumindest nicht jetzt. Ich erhielt die Meldung, daß er den Raum verlassen hatte. Ich blieb noch ein bißchen, für den Fall, daß er zurückkam, und fragte mich unterdessen, was er mit zwölf meinte. Mit einem Druck auf den Knopf an meinem Kopfende rief ich die Schwester, wegen der ich langsam ein schlechtes Gewissen bekam. Ich wußte nicht, ob sie draußen wartete, oder ob sie jedesmal, wenn sie kam und ging, ihren blauen Anzug an- und auszog. Aber mit Sicherheit war nichts davon angenehm zu ertragen, schon gar nicht meine Stimmung.
    »Sagen Sie mal«, sagte ich, als sie bei mir ankam, »ob es hier wohl irgendwo eine Bibel gibt?«
    Sie zögerte, als sei ihr diese Frage noch nie gestellt worden.
    »O je, da hab' ich keine Ahnung.«
    »Könnten Sie mal nachsehen?«
    »Geht es Ihnen gut?« Sie sah mich mißtrauisch an.
    »Bestens.«
    »Es gibt hier eine Bibliothek. Vielleicht steht da irgendwo eine herum. Tut mir leid. Ich bin nicht sehr religiös.« Weiter vor sich hin plappernd ging sie hinaus.
    Etwa eine halbe Stunde später kehrte sie mit einer in schwarzes Leder gebundenen Bibel zurück, einer Cambrigde-Red-Letter-Ausgabe, die sie, wie sie sagte, aus jemandes Büro ausgeliehen hatte. Ich schlug sie auf und fand vorn einen Namen in Schönschrift und ein Datum, aus dem hervorging, daß die Bibel ihrem Besitzer vor fast zehn Jahren zu einem besonderen Anlaß geschenkt worden war. Während ich zu blättern begann, wurde mir bewußt, daß ich seit Monaten nicht mehr zur Messe gegangen war. Ich beneidete Menschen, deren Glaube so stark war, daß sie eine Bibel an ihrem Arbeitsplatz hatten.
    »Und Sie sind sicher, daß Sie sich gut fühlen?« fragte die Schwester, die sich immer noch in der Nähe der Tür herumdrückte.
    »Sie haben mir noch gar nicht gesagt, wie Sie heißen«, sagte ich.
    »Sally.«
    »Sie haben mir sehr geholfen, und dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar. Ich weiß, daß es kein Vergnügen ist, an Thanksgiving zu arbeiten.«
    Darüber schien sie sich sehr zu freuen, und nun faßte sie den Mut zu sagen: »Ich will meine Nase ja nicht in Dinge stecken, die mich nichts angehen, aber ich bekomme nun mal mit, was die Leute so reden. Diese Insel in Virginia, von der die Tote stammte - stimmt es, daß die Leute da nur von der Krabbenfischerei leben?«
    »So ziemlich.«
    »Blue Crabs.«
    »Und Weichschalenkrebse.«
    »Ist schon mal jemand auf die Idee gekommen, sich deswegen Sorgen zu machen?«
    Ich wußte, worauf sie hinauswollte. Ich machte mir sehr wohl Gedanken. Schließlich hatte ich einen ganz persönlichen Grund, mir Sorgen um Wesley und mich zu machen.
    »Diese Dinger werden ins ganze Land verkauft, oder?« fuhr sie fort. Ich nickte.
    »Was ist, wenn die Krankheit, die die Frau hatte, durch Wasser oder Lebensmittel übertragen wird?« Ihre Augen leuchteten hinter ihrem Visier. »Ich habe ihre Leiche zwar nicht gesehen, aber was ich darüber gehört habe, ist wirklich unheimlich.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ich hoffe, wir finden bald eine Antwort darauf.«
    »Übrigens, zum Mittagessen gibt es Truthahn. Erwarten Sie nicht zuviel.«
    Sie stöpselte ihren Luftschlauch aus und hörte auf zu reden. Dann öffnete sie die Tür, winkte mir kurz zu und ging hinaus. Ich wandte mich wieder der Konkordanz zu und mußte eine Weile unter verschiedenen Stichwörtern suchen, bis ich die Passage fand, die deadoc zitiert hatte. Es war Matthäus 10, Vers eins, und vollständig hieß es dort:
    Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, daß sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.
    Im nächsten Vers wurden die Namen der Jünger aufgezählt, und dann sandte Jesus sie

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