Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
den Wald. Sekunden danach erbebte der Boden unter den Hufen der anderen Verfolger. Als die Jäger weiter aufholten, ritten die Gefährten blindlings in ein Dickicht hinein. Braedon entdeckte eine Schneise in dem hohen Farn.
»Dort!«, rief er Kenrick zu und deutete auf den dunklen Durchlass, der sie, so hoffte er, aus dem Wald hinausführen würde. Braedon hielt sich hinter Ariana und ihrem Bruder und sah mit Erleichterung, dass sich der Abstand zu den Verfolgern wieder etwas vergrößert hatte, denn die Ritter mussten ihre stämmigen Reittiere sehr vorsichtig durch das Dickicht lenken. Braedon ritt unter dem natürlich gewachsenen Bogen aus Kletterpflanzen und Efeuranken hindurch und suchte die andere Seite des Durchlasses nach möglichen Gefahren ab. Er spürte, dass sie beobachtet wurden, konnte jedoch nicht sagen, wo der Beobachter stand. Als Kenrick abrupt anhielt, wusste Braedon, dass er sich getäuscht hatte.
»Hinter Euch«, wisperte Arianas Bruder. »Nicht bewegen!«
Mit einer Geschicklichkeit, die man einem gelehrten Mann nicht zugetraut hätte, streckte Kenrick die Hand nach Braedons Armbrust aus und legte die Waffe trotz seiner Verletzungen an. Er zog einen Bolzen aus dem schmalen Köcher am Schaft der Waffe, spannte den Bogen und legte das Geschoss ein.
Vielleicht war es der eigentümliche winselnde Laut, der Braedon veranlasste, den Kopf in die Richtung zu drehen, in die Kenrick nun zielte, vielleicht lag es auch an dem plötzlichen Eindruck, dass ihm jemand aus den dunklen Schatten des Rankengeflechts ein Zeichen gegeben hatte. Welcher von beiden auch immer der Grund für sein Verhalten gewesen sein mochte, Braedon folgte der inneren Eingebung, drehte den Kopf und warf einen Blick über die Schulter. Wie gebannt starrte er auf die Erscheinung, die er zunächst für ein Trugbild hielt.
Sobald er den neugierigen, leicht schief gelegten Kopf des weißen Wolfes erblickt hatte, hörte er auch schon das leise Klicken des Auslösers der Armbrust.
»Halt!«, befahl er, riss die Hand hoch und schlug Kenricks Waffe zur Seite. Zischend flog der tödliche Bolzen in das Buschwerk, und Arianas Bruder stieß einen Fluch aus. »Nicht schießen. Sie wird uns nichts tun.«
»Braedon«, flüsterte Ariana ungläubig, »ist das … ?«
Das Tier spitzte die Ohren, als der Hufschlag der herannahenden Reiter lauter wurde, erhob sich und trottete zu einem dunklen Pfad, der sich zwischen dichtem Baumbestand verlor. Dort blieb die Wölfin stehen, so als wolle sie Braedon auffordern, ihr zu folgen. Mit einem Mal erinnerte er sich an den Traum, der ihn vor zwei Tagen heimgesucht hatte.
»Los!«, rief er, nahm die Armbrust wieder an sich und gab Kenrick und Ariana ein Zeichen vorauszureiten.
»Seid ihr verrückt geworden?«, fragte Kenrick, als seine Schwester dem Wolf folgte. »Wir wissen doch gar nicht, was uns dort erwartet!«
Braedon hängte sich den Gurt mit der Armbrust wieder über die Schulter und lenkte sein Pferd unmittelbar neben das von Kenrick. »Und ich vermute, Ihr habt keine Vorstellung davon, wer uns da auf den Fersen ist. Unsere einzige Chance liegt darin, dem Tier zu folgen.«
Mit einem Blick, dem unmissverständlich zu entnehmen war, dass er es eher gewohnt war, Befehle zu erteilen, als sie entgegenzunehmen, ritt Kenrick noch vor Braedon auf den Pfad zu. Genau wie in dem Traum führte der weiße Wolf sie schweigend in das Waldesinnere. Und wie in dem Traum blieb das stattliche Tier am Rand einer Felsspalte stehen und überzeugte sich mit einem Blick, dass die Menschen ihm auch wirklich gefolgt waren. Leise bat Braedon die Gefährten, ihn vorbeizulassen, und lenkte sein Pferd neben den Wolf.
Wie in dem Traum wirbelten Schnee- und Eiskristalle um die Wölfin herum, als eine sanfte Brise in die Baumkronen fuhr und sich ein feiner Nebel herabsenkte. Das Tier entschwand in den glitzernden Schleierschwaden, doch diesmal, anders als in dem Traum, konnte Braedon keine Augen jenseits der Schlucht erkennen.
Der Wolf war fort, vor ihnen erstreckte sich nur die tiefe Felsspalte.
Weiter hinten – doch trotzdem allzu nah, wie Braedon voller Sorge erkannte – war die dröhnende Stimme von Draec le Nantres zu hören, der seinen Männern Befehle erteilte. Sie hatten den Pfad zu dem abgelegenen Durchlass aus Ranken und Efeu gefunden – und würden in wenigen Augenblicken über Braedon und die Geschwister herfallen. Braedon fluchte ungehalten und überlegte fieberhaft, welche Möglichkeiten sich ihnen jetzt noch
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