Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
boten, um den nahenden Angreifern zu entkommen.
Da es zu spät war, den Pfad zurückzureiten, und zu riskant, vor le Nantres und dessen Rittern an der Schlucht entlang zu fliehen, sah Braedon nur noch eine Möglichkeit.
»Wir müssen über den Abgrund springen.«
19
» Was?« Ariana sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an und schüttelte den Kopf. Hatte sie nicht richtig gehört? »Braedon, wir können doch nicht … «
Er umschloss die bebende Hand, die sie ihm flehentlich entgegenstreckte. »Wir müssen den Sprung wagen, Ariana. Uns bleibt kein anderer Weg.«
Ariana schlug das Herz bis zum Hals, als Braedon ihre Hand in der seinen hielt; seine funkelnden grauen Augen ließen ihr keine Wahl. Am ganzen Körper zitternd und außer Atem hörte sie nichts anderes als das Knacken der Zweige auf dem Pfad, den de Mortaines Männer nun eingeschlagen hatten. Das abgelegene Waldstück schien von einer herannahenden Woge des Bösen erfasst zu werden, die den Flüchtenden nur einen Ausweg ließ.
»Vertraust du mir?«, fragte Braedon und zog ihre Hand an seine feste, warme Brust.
»Ja.« Sie nickte kurz, dann noch einmal, entschiedener. »Ich vertraue dir.«
»Ich werde als Erster springen«, sagte Kenrick. Obwohl es noch Wochen dauern würde, ehe er wieder dem robusten Ritter ähnelte, der er vor der Gefangenschaft gewesen war, war sein Mut unvermindert. Mit einem entschlossenen Ruck riss er sein Pferd herum, lenkte es einige Schritte von der Schlucht zurück und stieß ihm dann die Fersen in die Flanken. Das Tier machte einen Satz nach vorn, sprang über die Felsspalte und musste nur kurz nach sicherem Stand suchen, als es mit den Hinterhufen leicht an dem steinigen Abgrund der Schlucht abrutschte.
Dichter Nebel senkte sich nun herab. Ariana hatte noch beobachten können, dass Kenrick der Sprung gelungen war, aber jetzt hüllte der Nebel ihn jenseits der Felsspalte in seine Schleier. Ariana konnte den Fels auf der anderen Seite nicht mehr erkennen; und in wenigen Augenblicken würde auch die tiefe Schlucht von weißlichen Schwaden verschluckt sein.
»Jetzt du, Ariana. Du musst springen!« Braedon beugte sich vor, küsste sie leidenschaftlich und ließ seine Stirn für die Dauer eines Atemzugs an ihrer ruhen, ehe er ihre Hand freigab und Ariana drängte, dem Beispiel ihres Bruders zu folgen. »Ich bin hinter dir. Ich werde dich nicht in die Tiefe stürzen lassen.«
Ein leiser nervöser Schrei entwand sich ihrer Kehle, als sie das Pferd so weit zurücklenkte, dass das Tier genügend Anlauf für den Sprung nehmen konnte. Unmittelbar neben ihr nickte ihr Braedon aufmunternd zu.
»Spring, meine Liebe. Jetzt!«
Seine Stimme und das unerwartete Kosewort verliehen ihr Kraft. Sie spornte das Pferd mit einem Ruf an, drückte ihm die Fersen in die Flanken und zwang es zu einem gewaltigen Sprung. Die Vorderhufe wühlten den gefrorenen Boden auf, und nach einem kraftvollen Absprung schien es für einen Moment durch die Luft zu schweben. Ariana hielt den Atem an und kniff die Augen zusammen, als sie auf dem Rücken des Pferds über die Felsspalte schoss und mit einem harten Aufprall wieder auf festem Untergrund landete.
Braedon folgte einen Augenblick später.
»Wir müssen weiter«, befahl er mit gedämpfter Stimme. »Der Nebel wird uns vorerst Schutz bieten.«
Sie flohen, ohne zu zögern. Nur der schwere Hufschlag ihrer Pferde drang an ihre Ohren, und irgendwo in der Nähe war das Rauschen fließenden Wassers zu hören, das Plätschern eines kleinen Baches, der weder von Eis noch Kälte in seinem Lauf behindert wurde. Braedon führte sie entlang des flachen, dunstigen Ufers und ritt entgegen der Strömung bis zu der Stelle, an welcher der Bachlauf entsprang: eine verborgene Quelle, die unterhalb eines scharfkantigen Granitgesteins hervorsprudelte. Dunkle Schatten auf dem zerklüfteten Fels verdeckten beinahe gänzlich den schmalen Eingang einer Höhle. Ariana wäre die Öffnung womöglich gar nicht aufgefallen, wäre in ihr nicht mit einem Mal ein hell leuchtendes Wesen aufgetaucht.
Es war eine Frau von schlanker und ätherischer Gestalt. Sie trug ein taubengraues Gewand, das ihre Figur wie eine Wolke umhüllte. Prachtvolles weißes Haar fiel ihr in dichten Wellen bis weit über die Hüften und umrahmte ein schönes Gesicht und faszinierende, silbergrünlich schimmernde Augen.
»Braedon.« Ariana deutete auf die Erscheinung, aber er hatte die Frau längst gesehen.
Einen langen Moment war er wie erstarrt. Tatsächlich
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