Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
hatte Ariana den Eindruck, als könne er kaum noch atmen. Schweigend saß er im Sattel und blickte die Gestalt an, als Ariana und Kenrick zu ihm aufschlossen. Schließlich stieß er einen leisen Fluch aus.
»Braedon, wer ist … ?«
»Steigt ab«, sagte er, ohne näher auf Arianas Frage einzugehen. Er war bereits aus dem Sattel gesprungen und half ihr beim Absitzen. »Es ist alles in Ordnung.«
»Bist du sicher?« Ariana hielt sich noch einen Moment an Braedon fest, als ihre Füße bereits wieder auf festem Boden standen. An dem schmalen Eingang der Höhle machte die weißhaarige Frau eine einladende Geste mit der Hand und wich in die dunkle Öffnung zurück, als wolle sie den Ankömmlingen den Weg weisen. Verwirrt schaute Ariana Braedon an. »Kennst du … diese Frau?«
»Ja«, sagte er gedehnt und legte ungläubig die Stirn in Falten. »Sie ist meine Mutter.«
Abertausend Fragen wirbelten Braedon durch den Kopf, als er, Ariana und Kenrick das Innere der Höhle betraten. Dass die Gestalt, die dort vor ihm ging, seine Mutter sein sollte – die ihn vor so vielen Jahren verlassen und damit dem Zorn des Vaters ausgeliefert hatte –, kam ihm vor wie ein seltsamer, längst vergessener Traum. Und da er gerade an seltsame Träume dachte, die plötzlich wahr wurden, erschien vor seinem geistigen Auge unwillkürlich auch die weiße Wölfin.
Es konnte unmöglich ein Zufall sein, dass seine Mutter und der Wolf zur gleichen Zeit am gleichen Ort erschienen. Aber zu glauben, die beiden wären in gewisser Weise miteinander verbunden oder aufgrund eines Zaubers ein und dasselbe Wesen, diese Vorstellung grenzte an Wahnsinn. Nach allem, was er seit Beginn dieses merkwürdigen Abenteuers gesehen hatte, musste er sich fragen, ob es nicht ebenso irrsinnig gewesen war, dieser geisterhaften Erscheinung zu folgen, die ihn und die Geschwister nun tiefer in eine unbekannte Grotte führte.
Ariana, die unmittelbar hinter ihm ging, holte hörbar Luft. »Es ist so dunkel«, flüsterte sie.
»Ich helfe dir.« Er streckte die Hand nach ihr aus, die sie dankbar ergriff, und verschränkte ihre Finger mit den seinen.
Der düstere, schmale Weg, der nur von der blässlich schimmernden Gestalt vor ihnen erhellt wurde, schien warme Luft und den reinen, belebenden Duft von sprudelndem Wasser zu verströmen. Einen Moment später, als er das Plätschern auf der anderen Seite der feuchten, steil ansteigenden Felswand vernahm, die er mit der freien Hand ertastete, realisierte Braedon, dass es sich um eine Quelle handeln musste. Sie folgten dem leicht abschüssigen Weg, bogen um eine Ecke und erblickten am Ende des langen Gangs endlich einen hellen Schimmer. Warmes Kerzenlicht, dessen Widerschein sich flackernd auf die in den Fels gehauenen Wände legte, flutete ihnen von irgendwo aus dem Herzen des Labyrinths entgegen.
Noch rauschte Braedon von der Flucht durch den Wald das Blut in den Schläfen, doch dann, plötzlich, als sie einer Biegung des Gangs folgten und nun auf eine schwach erleuchtete Kammer zugingen, verspürte er wieder dieses Prickeln. Eine raschelnde Bewegung verriet ihm, dass sie nicht allein waren; seine Nasenflügel bebten, als er die Luft einsog und schwach den Geruch von blankem Metall wahrnahm. Er hielt Ariana mit einer Hand zurück und umschloss den Knauf seines Schwerts, ehe sie den Eingang der Kammer erreichten. Seine Mutter ging ihnen immer noch voraus und merkte erst, dass er zur Waffe gegriffen hatte, als sie das kaum hörbare, schabende Geräusch der Klinge wahrnahm.
»Nein!«, rief sie atemlos. Ihr langes silberweißes Haar umrahmte ihre schlanke Gestalt, als sie sich umdrehte und heftig den Kopf schüttelte. »Bitte, habt keine Angst. Es gibt keinen Grund für Gewalt.«
»Davon würde ich mich gern mit eigenen Augen überzeugen«, entgegnete Braedon.
Als sie über die Schwelle des höhlenartigen Raums treten wollten, begegnete man ihnen ebenfalls mit Misstrauen. Sechs Wächter – vier große Männer und zwei Frauen – hatten ihre Schwerter gezogen und verwehrten ihnen den Zutritt. In dem in die Granitfelsen gehauenen Raum gab es keine Ecken. Er war rund wie ein Rad, einzelne Gänge führten von ihm wie verlängerte Speichen in den Fels hinein. Der schwache Schein von Fackeln ließ die Ankömmlinge ahnen, wie weit sich die Gänge in dieser unterirdischen Welt verzweigten. Als die vier Männer auf die Neuankömmlinge zutraten, hob die weißhaarige Frauengestalt in den fließenden Seidengewändern die Hand.
»Er ist
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