Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
Wald, dann aber gewiss für das, was er Braedon angetan hatte – und seiner Mutter.
Du bist von Sinnen, Junge! So verrückt wie die Frau, die dich zur Welt brachte – möge sie verrotten!
Ein bitterer Zug umspielte seinen Mund, als er die Erinnerung an das Geschrei und die Flüche zu verdrängen suchte, die er damals fast jeden Tag ertragen musste und die ihn bis zum heutigen Tag verfolgten. Immer wieder hatte sein Vater versucht ihm einzureden, er würde genauso wie seine Mutter an Wahnsinn oder an absonderlichen Beschwerden leiden. Braedon betrachtete die Umgebung, als er und Ariana tiefer in die Wälder ritten, da er erneut das Prickeln verspürte, das normalerweise mit seinem Gespür für Gefahr einherging. Schon seit geraumer Zeit ließ ihm eine unbestimmte Vorahnung keine Ruhe mehr. Er hatte Ariana nicht verängstigen wollen, doch nun war er sich sicher: Sie wurden verfolgt.
Braedons Nasenflügel bebten, als er sich umschaute und die kalte Luft einsog. Er witterte Gefahr. In den Tiefen des Waldes, irgendwo hinter den undurchdringlichen Dornensträuchern, lauerte der Tod. Er spürte, dass sich etwas näherte, heimlich und mit raubtierartigem Geschick. Zwar konnte er niemanden erblicken, doch in der Luft lag eine Spannung, die nichts Gutes verhieß. Instinktiv legte er seine Hand um den Knauf seines Schwerts.
Irgendwo zu seiner Linken knackte ein Zweig. Das Geräusch war kaum wahrnehmbar. Braedon lauschte und ließ seinen wachsamen Blick über die Büsche schweifen, während sein Pferd unbeirrt durch den knöcheltiefen Schnee stapfte. Mit leichtem Schenkeldruck befahl er dem Tier, langsamer zu gehen, damit Ariana aufschließen und neben ihm auf dem schmalen Pfad reiten konnte.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie. »Warum werden wir langsamer?«
»Bleibt dicht bei mir. Es könnte sein, dass wir Schwierigkeiten bekommen.«
Er hörte, wie sie vor Schreck scharf die Luft einsog. Ihre Augen huschten von ihm zu den Bäumen und Büschen entlang des Pfads. Er wusste, dass sie die Bedrohung nicht so wahrnahm wie er, doch selbst er konnte nicht sehen, wer ihnen folgte. Sein untrügliches Gespür verriet ihm nur, dass sich die Gefahr näherte.
Arianas Stimme war nur noch ein ängstliches Wispern, das aus der Öffnung ihrer pelzbesetzten Kapuze an seine Ohren drang. »Braedon, was ist? Werden wir verfolgt?«
»Ich weiß es nicht. Wer oder was uns auch immer auf den Fersen ist, bewegt sich jetzt schneller.«
Mit raschen Blicken schätzte er ab, welche Richtung die beste Fluchtmöglichkeit böte. Er war sich sicher, dass alsbald Schnelligkeit gefragt sein würde. Der Pfad vor ihnen war zu schmal, um die Pferde im Galopp durch den Wald zu lenken, und auch ringsum standen die Bäume zu dicht. Braedon fluchte. Nun hatte auch sein Pferd die drohende Gefahr gewittert. Unruhig tänzelte das Tier hin und her, als wäge es ab, in welche Richtung es lospreschen könnte. Arianas Pferd wieherte ebenfalls beunruhigt und mit rollenden Augen und machte zögerliche Schritte.
»Bleibt dicht bei mir«, wiederholte Braedon leise. »Und haltet Euch an meine Anweisungen. Habt Ihr verstanden?«
Sie nickte schnell.
Braedon zog sein Schwert aus der Scheide. Das leise Schaben von Metall ging in dem Schnauben der verängstigten Pferde unter. Er lenkte sein Pferd schützend vor Arianas Tier, während er seinen erfahrenen Blick über das dunkle Buschwerk gleiten ließ, in dem er die Gefahr vermutete. Dann nahm er weiter vor ihnen eine Bewegung wahr, hörte das Geräusch von Schritten auf gefrorenem Schnee und das Rascheln von Zweigen. Ein leises Knurren ertönte.
»Braedon, dort!«
Arianas Warnung war nicht mehr als ein Flüstern, aber Braedon hatte den Grund für ihren Ausruf längst im Blick. Der Verfolger, mit dem sie es zu tun hatten, war kein Mensch, sondern ein Tier.
Keine fünfzig Schritte vor ihnen lauerte ein ungewöhnlich großer schwarzer Wolf auf einem schneebedeckten Felsvorsprung. Das Tier fletschte seine scharfen, weißlich schimmernden Zähne, stimmte ein kehliges Heulen an und richtete seine blassgrauen Augen auf Braedon und Ariana – es schien nur darauf zu warten, dass seine Beute sich bewegte. Kampflustig und den kraftvollen Körper zum Sprung gespannt harrte der Wolf auf dem Fels aus.
»Gnade uns Gott … «, flüsterte Ariana. Ihr Pferd trippelte unruhig von einer Stelle auf die andere. Das Sattelleder knarrte, und das Zaumzeug klirrte, als das Tier scheute und Anstalten machte, einfach loszugaloppieren. Ariana
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