Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
ehemaligen Freund Auge in Auge gegenüber. »Darf ich darauf hoffen, dass du gekommen bist, damit ich die Angelegenheit, die zwischen uns steht, zu Ende führen kann?«, fragte er ihn mit gefasster Stimme.
»Das könnte dir so passen«, höhnte Draec. Seine kalten grünen Augen fixierten Braedon und blieben dann an der Narbe haften. »Aber ich verstehe dich. Was ich getan habe, war … bedauerlich.«
»Was du getan hast, hat fünf Menschen das Leben gekostet. Männern, mit denen du gemeinsam gegessen hast und die dich für ihren Freund hielten.«
»Ich sagte doch schon, es war bedauerlich. Aber du hast mir keine Wahl gelassen, nicht wahr, alter Kamerad?«
»Du hattest die Wahl und hast dich gegen uns entschieden.«
Ein dunkles Funkeln in den Augen des Ritters schien Braedon recht zu geben. Draecs Lippen waren nicht mehr als ein dünner Strich. »Was ich getan habe, war unvermeidlich, das versichere ich dir. Bist du denn wirklich so anders als ich? Schließlich wollen wir beide dasselbe. Wir sind beide auf der Suche nach dem Kelch, oder etwa nicht?« Er warf einen Seitenblick auf Ariana, ehe er sich mit einem wissenden Lächeln Braedon zuwandte. »Wie mir scheint, unterscheiden wir uns lediglich in unserer Methode, ihn zu bekommen. Sagt mir, Lady Ariana, welche Vorgehensweise ist verwerflicher: eine sachliche Verhandlung mit Klingen oder eine berechnende Verführung?«
Braedon spürte Arianas Blick auf sich ruhen. Sie stieß einen leisen, hilflosen Laut aus, aber er konnte nicht sagen, ob dieser von der groben Behandlung ihres Bewachers oder von Draecs unverschämter Behauptung herrührte. Braedon taxierte seinen früheren Freund mit einem finsteren Blick und lachte spöttisch. »Das siehst du falsch, le Nantres. Ich habe kein Interesse mehr daran. Ich hatte schon vor achtzehn Monaten mehr als genug von dem dämonischen Kelch.«
»Ach, wirklich?«, schnaubte Draec und hob herausfordernd eine Braue. Mit dem Dolch deutete er auf die zerwühlten Laken, auf denen jetzt die Aufzeichnungen aus Kenricks Schultertasche verstreut lagen. »Wenn dem so ist, wo ist dann die Karte?«
»Welche Karte?«
Der Wächter drückte Ariana sein Messer unmissverständlich gegen die Haut oberhalb ihres Mieders. Sie stieß einen Entsetzensschrei aus. »Dieser Mann ist in Kenricks Entführung verwickelt, Braedon. Er ist hinter dem Pergament her, das ich dir neulich Abend zeigen wollte, dann aber nicht finden konnte. Es ist nicht mehr in der Tasche. Wenn du von seinem Verbleib weißt, musst du es ihnen sagen!«
»Du solltest auf sie hören, le Chasseur. Ich möchte dem Mädchen nicht wehtun, aber wenn du auf deinem Versteckspiel beharrst, kann ich für nichts garantieren. Ich will diese Karte, und zwar jetzt.«
Er konnte es nicht tun. Selbst wenn er die Karte bei sich gehabt hätte, hatte er sie Draec oder dessen Auftraggeber nie freiwillig überlassen. Einem Mann wie Silas de Mortaine durfte er den Zugang zu dem Kelch nicht derart einfach machen. Aber was sollte aus Ariana werden? Durfte er ihr Leben hier und jetzt aufs Spiel setzen?
Er sah Draec kalt in die Augen. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Es gibt keine Karte«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Braedon!«, rief Ariana und sah ihn ungläubig an. »Was redest du da? Ich weiß, dass sie da war. In der Tasche. Ich habe sie gesehen, als wir beide in der Höhle waren … «
Ihre Worte verloren sich in der drückenden Stille, und als sie mit geröteten Wangen den Blick senkte, gab Draec ein höhnisches Lachen von sich. »Wie ich sehe, erliegen die Damen nach wie vor deinem Charme, mein Freund.« Er schaute zu Ariana hinüber. »Ist Euch nicht klar, in wessen Gesellschaft Ihr Euch befindet, Madame? Euer Begleiter ist niemand anderes als Braedon le Chasseur – der Jäger selbst. Und er bekommt immer, wonach er sucht.«
»Er sucht überhaupt nichts«, verteidigte Ariana Braedon, obwohl aufkeimender Argwohn in ihrem Blick lag. »Er hat mich nach Frankreich gebracht, weil ich ihn um Hilfe bat.«
»So, er hat Euch also geholfen? Ja, das sehe ich.«
»Ihr versteht nicht. Ehe Ihr hier ankamt, waren wir auf dem Weg nach Rouen, um diese Tasche abzuliefern.«
»Oh ja. Aber Euch ist bewusst, Mylady, dass Ihr Euch im Augenblick gute zwölf Stunden von Rouen entfernt befindet? Zwölf Stunden trennen Euch von Eurem Ziel, die Küste hingegen ist nicht mehr weit. Euer Ziel dürfte Honfleur sein. Ist das nicht ein wenig sonderbar für einen Mann, der in seinem
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