Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
seine Helfershelfer hierherlockst, damit sie mich ein für alle Mal erledigen können? Womöglich sind sie längst hier und ziehen die Schlinge zu, während du deinen Narren ein letztes Mal verführt hast.«
»Denkst du wirklich so schlecht von mir?« Sie sah ernst zu ihm auf, Tränen schimmerten in ihren Augen. »Ich würde alles geben, um das ungeschehen zu machen, was zwischen uns getreten ist. Niemals würde ich dich an irgendjemanden verraten, sosehr man mir auch drohen würde … denn ich liebe dich, Kenrick. Ich liebe dich von ganzem Herzen.«
Wie kalt musste ein Herz sein, wenn eine Lüge so überzeugend vorgebracht wurde? Kenrick ließ ihre Worte lange auf sich wirken und erwiderte nichts darauf. Er durfte sich jetzt nicht erneut auf Haven einlassen, stand er doch so kurz davor, einen weiteren Kelchstein zu finden.
Und dennoch …
Wie schwer fiel es ihm, sie vor sich zu sehen, da sein Leib noch von der lustvollen Vereinigung brannte, ihr lieblicher Duft noch wie ein teurer Wohlgeruch seine Sinne umfing! Ihm wurde schwer ums Herz, als er den Kummer in ihrer Miene gewahrte, die Sorgen in ihren tränenfeuchten Augen sah. Das Schweigen zog sich in die Länge, doch er antwortete nicht, denn er vermochte kaum zu sagen, wie er sich in diesem Augenblick fühlte.
»Ich kann nicht mehr zu meinem Clan zurück«, sagte sie leise. »Ich habe mich verändert, und das nur deinetwegen. In meiner Welt führe ich jetzt ein Schattendasein, da ich Liebe für dich empfinde. Es gibt keinen Weg zurück. Ich habe ein Gesetz meines Volkes gebrochen, und dieser Verrat bringt dich in Gefahr, wenn du bei mir bist. Ich bin heute Nacht zu dir gekommen, um dir Lebewohl zu sagen. Viel wichtiger aber ist, dass ich dir etwas zurückbringen wollte, das dir gehört.«
Er runzelte die Stirn, denn er wusste nicht, was er mit diesen Worten anfangen sollte, bis sein Blick auf ein Stück Metall fiel, das bei seinen Sachen lag und im Mondlicht aufleuchtete. Rasch bückte er sich und griff nach dem Beutel, den er sich für die Nacht unter den Kopf geschoben hatte. Halb verdeckt von der Lasche erblickte er einen Gegenstand, den er verloren geglaubt hatte. Ungläubig hob er ihn auf und betrachtete ihn im fahlen Mondlicht.
»Das Siegel«, sagte er, und Erstaunen schwang in seiner Stimme mit, fühlte sich der wertvolle Gegenstand doch genauso echt an wie Haven selbst, nur wenige Augenblicke zuvor.
»Le Nantres hatte es bei sich.«
»Gott … wie ist es dir gelungen, es ihm wieder abzunehmen?«
»Ja, Frau, wie ist dir das gelungen?«
Kenrick drehte sich herum und sah, dass Rand nur wenige Schritte von dem Lagerplatz entfernt stand. Mit beiden Händen umfasste er sein Schwert, ein gefährlicher Ausdruck lag in seinen Augen.
30
Diesen tödlichen Blick von Randwulf of Greycliff hatte Haven das letzte Mal gesehen, als er ihr den Dolch in die Schulter getrieben und mit der freien Hand die Luft abgedrückt hatte.
Furcht befiel sie, da sie ihm nun erneut gegenüberstand und seinem heißen Zorn ausgeliefert war. Dann wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie all den Hass dieses Mannes tatsächlich verdient hatte.
»Du«, knurrte er. »Ich dachte, du wärst tot. Bei den Wunden unseres Heilands, ich habe gehofft, du wärst in die Fänge des Todes geraten, denn du hast meine Gemahlin und meinen Sohn auf dem Gewissen.«
»Das, was ich Euch und Eurer Familie angetan habe, ist unverzeihlich«, räumte sie ein. »Ihr habt das Recht, mir den Tod zu wünschen.«
»Nur zu wünschen?« Verachtung lag in seinem rauen Lachen. Er kam bedrohlich näher und hob sein Schwert. »Nein, Gestaltwandlerin, ich belasse es nicht beim Wünschen.«
Haven zwang sich, dort auszuharren, wo sie stand, bereit, Rands Zorn über sich ergehen zu lassen. Doch zu ihrem grenzenlosen Erstaunen sprang Kenrick mit einem mächtigen Satz schützend vor sie und schirmte sie mit beiden Armen vor Rand ab. Verwirrt starrte der wutentbrannte Recke seinen Freund an.
»Tritt beiseite, Heiliger. Du kannst nicht wissen, wen – oder besser was – du da zu schützen gedenkst. Dieses Geschöpf mit der schwarzen Seele hat meiner Familie den Tod gebracht. Sie schlich sich in mein Haus und freundete sich mit Elspeth an, indem sie ihr etwas mit ihren Tränken und Kräutern vorgaukelte. Sie ist eine Gestaltwandlerin und so hinterlistig und niederträchtig wie all diese Kreaturen.«
»Ich weiß, wer sie ist«, antwortete Kenrick ernst. »Und ich weiß auch, was sie getan hat.«
»Du … weißt es?«,
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