Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
ließ. Er war klug und weise. Eine gefährliche Verbindung, wenn noch die Kraft eines erfahrenen Kriegers dazukam. Wie leicht könnte er sie bezwingen, besser als jede noch so festgezurrte Fessel.
»Glaubt Ihr, ich hätte Eure Freunde in irgendeiner Weise mit einem Fluch beladen? Haltet Ihr mich deswegen hier gefangen? Um ein Geständnis von meiner gespaltenen Hexenzunge zu erzwingen?«
Ein dünnes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Solches Denken liegt mir fern, Haven. Ebenso wenig gedenke ich, Euch als Gefangene in meiner Burg zu halten. Aber ich muss wissen … nein«, verbesserte er sich, »ich möchte Euch bitten, mir alles zu erzählen, was Ihr von dem Überfall auf Greycliff Castle wisst.«
Sie entzog sich seinem prüfenden Blick. »Darüber haben wir doch schon gesprochen. Ich kann nicht von Dingen berichten, an die ich mich nicht erinnere.«
Haven wappnete sich innerlich gegen einen möglichen Zornesausbruch oder weitere Einschüchterungsversuche und war daher erstaunt, wie unvermutet sanft seine Stimme klang. »Rand und Elspeth waren meine Freunde, Haven. Was ihnen und auch Euch widerfahren ist, war ein feiger, grausamer Überfall. Ich möchte sicherstellen, dass der Schurke, der ihn veranlasst hat, nie wieder jemandem Schaden zufügen kann. Der Mann, der hinter dem Angriff steckt, ist von böser Gesinnung. Es ist unerlässlich, dass ihm Einhalt geboten wird, auf welche Weise auch immer.«
»Ich weiß nur nicht, welche Rolle ich dabei spielen soll. Es ist nämlich so, wie ich sagte, den Überfall habe ich nur verschwommen vor Augen. Die Einzelheiten sind … « Sie zuckte die Schultern, sah sich jedoch erneut von wild aufblitzenden Erinnerungsfetzen bestürmt.
Geräusche vermischten sich mit Bildern, und all diese Eindrücke schwebten wie Traumgebilde durch ihren Geist. Sie glaubte, Hände an ihrem Hals zu spüren. Dann schüttelte sie den Kopf und vertrieb die Visionen, bevor sie festere Konturen annehmen konnten.
»Es tut mir leid, aber die Einzelheiten jener Nacht entziehen sich meiner Erinnerung.«
Sie vermochte nicht zu beurteilen, ob er ihr nun glaubte. Er sah sie unverwandt an, sagte jedoch nichts. Schließlich erklärte er: »Ich kann Euch nicht zwingen, mir zu helfen, Haven. Ich weiß, wie es ist, gefangen gehalten zu werden, schmachtete ich doch selbst ein halbes Jahr im Verlies eines Irrsinnigen. Er überlegte sich manch ein Mittel, um Wissen aus mir herauszupressen – es gab Zeiten, da fürchtete ich, er habe mich besiegt. Als die Folter dann kaum noch zu ertragen war, hätte ich sogar Lügen ersonnen, damit die Schmerzen nachließen. Doch nichts dergleichen habe ich mit Euch im Sinn. Ich möchte keine Lügen von Euch hören, Haven. Ich kann mir keine Unwahrheiten leisten.«
Der ernste Unterton in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Wäre er aufgebracht in das Gemach gestürmt, hätte er ihr mit der Faust gedroht, auf all das wäre sie gefasst gewesen. Dann hätte sie sich nämlich bestätigt gesehen, dass die innere Stimme, die sie immerzu vor Gefahr warnte, recht behalten hatte. Jetzt aber ging ihr auf, dass sie nicht wusste, wie sie das Verhalten des Burgherrn einordnen sollte.
»Ihr seid in Greycliff gewesen, in jener Nacht, als meine Freunde ermordet wurden. Die Stichwunde an Eurer Schulter, die Würgemale an Eurem Hals – ist Euch eigentlich bewusst, wie knapp Ihr mit dem Leben davongekommen seid?«
»Ja«, murmelte sie. »Und ich bin Euch dankbar, dass Ihr mich gerettet habt.«
»Dann helft mir auch, diesen Verbrechern Einhalt zu gebieten. Böse Kräfte sind hier am Werk, über die Ihr lieber nichts erfahren sollt. Helft mir, das Böse abzuwehren. Wollt Ihr das versuchen, Haven?«
»Ich habe Euch bereits alles erzählt, was ich weiß.«
»Allerdings müsst Ihr mir noch erzählen, was Ihr in jener Nacht auf der Burg getan habt. Was führte Euch zu meinen Freunden?«
»Lady Greycliff hatte nach mir geschickt.«
Ein Teil ihrer Erinnerung kehrte zurück. Jetzt konnte sich Haven an jenen Tag erinnern, sah ganz deutlich, wie sie in ihrer schlichten Hütte Kräuter vorbereitete, getrockneten Salbei und Flohkraut mischte und in ein kleines Säckchen füllte. »Ich war öfter zu Besuch auf der Burg. Es ging der Dame … nicht gut, daher hatte sie mich um Kräuter gebeten.«
Er nickte aufmerksam. »Elspeth litt häufig an Kopfschmerzen. Man konnte nicht viel tun, wenn die Schmerzen am schlimmsten waren.«
»Ja«, stimmte ihm Haven zu. Sie hielt es im Augenblick allerdings
Weitere Kostenlose Bücher