Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
noch wie Gift in ihm gärte.
Kenrick runzelte die Stirn, als er sich der früheren Fehleinschätzungen entsann, und warf einen verstohlenen Blick auf Braedon. Schließlich trat er an die Seite seines Schwagers und sprach mit gedämpfter Stimme, sodass der Geistliche die Worte nicht verstehen konnte. »Dieser Überfall hatte einen Grund, denn das Kreuz war kein Verlegenheitsdiebstahl.«
»Das ist auch meine Überzeugung«, stimmte Braedon zu. »Was denkst du, wie lange werden die Schurken noch brauchen, bis sie auf dem richtigen Weg zum Schatz sind?«
»Wenn sie weiter in dieser Weise vorgehen und wahllos jede Abtei und Kapelle im Königreich überfallen, können sie nur auf einen glücklichen Zufall hoffen.«
»Früher oder später wird auch ein Narr Glück haben. Und diese Männer sind keine Narren.«
»Aber sie können nicht länger warten, und unter Zeitdruck macht man Fehler. Das unüberlegte Handeln gibt uns die Zeit, um ihnen bei der Suche nach dem nächsten Stein einen Schritt voraus zu sein.«
»Wie viel Zeit?«
»Eine Woche, vielleicht zwei.« Kenrick stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen einen leisen Fluch hervor. »Aber das reicht vielleicht nicht.«
»Unsere Hoffnung hängt an einem dünnen Faden.«
»In der Tat, aber uns bleibt doch keine andere Wahl, mein Freund.«
»Und falls sie, wie du vermutest, den Schlüssel an sich gebracht haben, den du einst auf Greycliff Castle versteckt hast, wie lange werden sie dann brauchen?«
Kenrick war sehr ernst geworden und merkte, dass er auf diese berechtigte Frage keine Antwort wusste. Doch wie es aussah, hatte er keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn draußen vor der Kapelle war Hufschlag zu hören. Einer der Ritter, die Kenrick zuvor ausgesandt hatte, eilte jetzt mit angespannter Miene in die schwach erleuchtete Kapelle.
»Was habt Ihr entdeckt?«
»Einen Lagerplatz, Mylord, der offenbar erst kürzlich aufgegeben wurde.«
Kenrick durchmaß den schmalen Mittelgang. »Wo war das?«, fragte er und spürte, wie sich sein Körper anspannte.
»Nicht weit von dem Dorf, in einem Waldstück westlich von hier.«
»Führt mich dorthin.«
Dicht gefolgt von Braedon, eilten der Ritter und Kenrick zu den Pferden zurück. Die Männer saßen auf und hielten in gestrecktem Galopp auf ein aus Kiefern und Eichen bestehendes Waldstück zu, das einen kurzen Ritt vom Dorf entfernt lag.
Wie der junge Ritter es beschrieben hatte, sprachen alle Anzeichen dafür, dass der Lagerplatz erst kürzlich verlassen worden war. Und offenbar in Eile, wie Kenrick sah, als er vom Pferd stieg, um den Platz näher zu untersuchen. Mochte es auch unwahrscheinlich sein, aber die Leute, die hier gelagert hatten, waren womöglich mitten in einem Kampf geflohen. Überall auf dem Waldboden waren Hufabdrücke zu sehen – der Tiefe der Abdrücke nach zu urteilen, hatten sich die Pferde aufgebäumt; dazwischen zeichneten sich Spuren von gespornten Stiefeln ab.
Auch Braedon war aus dem Sattel gesprungen und hockte jetzt neben den noch warmen Überresten eines kleinen Lagerfeuers. Er nahm einen Stock vom Boden auf und stocherte damit in der Asche herum. »Sie können noch nicht lange fort sein. Höchstens eine Stunde.«
Kenrick fuhr sich mit der Hand durchs Haar und vermochte seinen Unmut kaum zu verbergen.
Sie waren so dicht dran gewesen!
Dass sie diese Schurken dermaßen knapp verpasst hatten, war ein herber Rückschlag. Und doch blieb den Männern von Clairmont die Gewissheit, dass die Gegner keinen allzu großen Vorsprung hatten.
»Hier sind Blutspuren«, stellte er fest, den Blick auf dunkle Verfärbungen im festgestampften Sandboden gerichtet. »Mindestens einer wurde verwundet. Und den Spuren nach zu urteilen, sind sie getrennt davongesprengt.«
Kenrick ließ den Blick über die kleine Lichtung und die Felder jenseits des Waldstücks schweifen, immer noch auf der Suche nach weiteren Spuren, die die Flüchtenden womöglich hinterlassen hatten. Im Wald bot sich manch ein Pfad an, obschon keiner ein schnelles Davonkommen zu ermöglichen schien.
»Wir könnten uns aufteilen und versuchen, sie einzuholen.« Braedon erhob sich und fing Kenricks Blick ein. »Verletzte sind auf der Flucht hinderlich, und uns bleiben noch einige Stunden bis zum Sonnenuntergang. Selbst ohne die Hilfe meiner alten Fähigkeiten sehe ich mich in der Lage, einer Spur wie dieser zu folgen.«
Das bezweifelte Kenrick nicht. Braedon le Chasseur – der Jäger, der einst über die unheimliche Fähigkeit
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