Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
war das aufdringliche Klopfen an der schweren Eichentür zu vernehmen.
»Ich wünsche nicht gestört zu werden«, rief er grollend in Richtung Tür und machte keinen Hehl aus seinem Unmut.
Zu seinem Ärger wurde die Tür, die er nicht verschlossen hatte, nun sogar geöffnet. Erzürnt sah Kenrick von seiner Arbeit auf, als die Tür mit quietschenden Angeln aufschwang.
»Ihr seid heute Abend nicht in der Halle erschienen. Da dachte ich, dass Ihr gewiss hungrig sein würdet.«
Jeglicher Zorn angesichts der dreisten Störung war sogleich verflogen, als Kenrick sah, dass niemand anders als Haven auf der Schwelle stand. Sie hielt ein Tablett mit Speisen und einer schlanken Weinkaraffe in Händen. Der Duft von geröstetem Fleisch und herzhaft angemachtem Gemüse erfüllte den Raum.
»Was bringt Ihr mir da?«
»Eure Abendmahlzeit, wenn Ihr mögt.«
»Die Abendmahlzeit«, wiederholte er und legte die Schreibfeder zur Seite. »Das kommt völlig unerwartet. Wenn ich bedenke, wie wir gestern auseinandergegangen sind, könnte es Euch heute gleich sein, ob ich hier oben verhungere.«
»Wenn Ihr nicht mögt … « Sie war bereits im Begriff, den Raum wieder zu verlassen.
»Nein, bleibt doch.« Kenrick erhob sich von seinem Pult und trat tiefer in den Raum. »Ich weiß Eure Fürsorge zu schätzen, Haven. Und ich merke, dass ich tatsächlich Appetit habe.«
Er bedeutete ihr, wo sie das Tablett am besten absetzen könnte, lehnte sich dann gegen den großen Schreibtisch und betrachtete die Speisen, die Haven ihm mitgebracht hatte.
Auf dem Tablett befand sich eine verlockende Auswahl des abendlichen Mahls: ein großes Stück Rindfleisch mit Soße, gedünstete Zwiebeln, ein Stück Käse, ein halber Laib Brot und eine Karaffe mit warmem gewürztem Wein. Kenrick griff nach dem schlanken Dolch, den Haven mit auf das Tablett gelegt hatte, schnitt sich damit ein Stück von dem Fleisch ab und hielt es sich vor die Nase. Es duftete vorzüglich nach Kräutern und hatte im eigenen Saft geschmort. Alles auf dem Tablett sah ansprechend aus, nichts schien zu fehlen.
Kenrick hob die Weinkaraffe an und schenkte sich etwas in den leeren Krug auf seinem Pult. Der Wein hatte eine tiefrote Farbe und duftete nach Gewürzen.
»Ich hoffe, dass Ihr mit allem zufrieden seid.« Erst jetzt bemerkte er, dass Haven jede seiner Bewegungen aufmerksam und beinahe beleidigt beobachtet hatte. »Ich bringe Euch ein Friedensangebot, doch Ihr untersucht die Speisen, als rechnetet Ihr damit, dass ich Euch vergifte.«
Unbeeindruckt zuckte Kenrick die Schultern, als er den Weinkelch wieder auf das Pult stellte. »Eine alte Angewohnheit.«
»So?«, fragte sie und zog eine geschwungene Braue hoch. »Und wem gilt Euer Misstrauen, Mylord – Eurem Küchenmeister oder mir?«
Er sah ihr neckendes Lächeln und deutete ein Schmunzeln an. »Ein Mann wird vorsichtig, wenn er ein halbes Jahr im Verlies eines Feindes zugebracht hat. Das Einzige, was noch schlimmer war als die täglichen Schläge, war das verdorbene Essen, das man mir vorsetzte. Gerne hätte ich dem mit Maden durchsetzten Haferschleim, den mir de Mortaine zubilligte, Gift vorgezogen.«
Sein Tonfall wirkte unbekümmert, doch in Wirklichkeit wollte Kenrick nicht an die schlimmen Monate seiner Kerkerhaft zurückdenken. Und gewiss war es nicht seine Absicht, die Qualen und die zermürbende Einsamkeit in dem dunklen Verlies vor Haven auszubreiten.
»Das tut mir leid«, sagte sie leise und bot ihm ihr Mitgefühl an, das er jedoch nicht wollte.
Kenrick zuckte die Schultern. »Ich habe es überlebt.«
Er richtete die Aufmerksamkeit wieder auf das Tablett mit den Speisen. Die Mahlzeit war eine zu große Versuchung für seinen leeren Magen, daher begann er zu essen.
»Habt Dank für die Speisen«, sprach er, während er ein Stück des saftigen Bratens verschlang. »Ich werde das Tablett wieder zurückbringen, wenn ich aufgegessen habe.«
Für Haven war dies eine unmissverständliche Aufforderung, das Turmgemach zu verlassen. Doch kaum hatte Kenrick die vorschnellen Worte ausgesprochen, bereute er sie bereits, denn nun betrachtete er Haven wieder, die im warmen Licht des Kaminfeuers vor ihm stand. Der goldene Schein umschmeichelte ihr hübsches Antlitz und ihr glänzendes rötliches Haar, ihre grünen Augen leuchteten wie Edelsteine. Das schlichte Gewand, das sie trug, betonte die zarten Schultern und die Rundungen unter dem Mieder und fiel ihr weich über die Hüften.
Sie bot einen wahrhaft verlockenden
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